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Im Schatten von Montmartre

Im Schatten von Montmartre

Titel: Im Schatten von Montmartre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Clarimont oder in irgendeinem anderen
Fall hatte kaltmachen lassen, war zwar bedauerlich. Vor allem für ihn selbst.
Aber das sollte mich als Privatflic nicht davon abhalten, meine eigenen
Ermittlungen weiterzuführen. Mit diesem Gedanken schlüpfte ich zwischen meine
Bettlaken, in der Hand das Adreßbuch des toten Kameramanns. Mit einer
wohlschmeckenden Pfeife bewaffnet, machte ich mich daran, die Namen der Freunde
und Bekannten von Prunier zu studieren. Doch sogleich unterbrach ich mein Programm.
Ich hatte Clarimont immer noch nicht über die wundersame Rückkehr seiner
heißgeliebten Chinoiserien informiert. Noch war es nicht zu spät dafür. Ich
rief ihn an, doch genauso wie heute morgen ging jetzt niemand an den Apparat.
Vielleicht war der Arzt auf Reisen. Ich legte auf und nahm Pruniers Notizbuch
wieder zur Hand.
    Es enthielt vor allem Telefonnummern.
Telefonnummern mit wenigen Namen, hier und da garniert mit Spitznamen. Zum
Beispiel: La Chèvre, die Ziege. Wie lautete noch Rita Cargelos richtiger
Name? Richtig: Marguerite Chevry. Chevry — La Chèvre, die Ziege. Nicht
sehr galant, dieser Prunier! Eine BALzac-Nummer war mit Vérole versehen.
Syphilis. Hm... Gefahr! Es mußte sich um das Belle Féronnière handeln,
das Bistro in der Rue Pierre-Charon. Und hier stand Schnauze von Ré OBErkampf 12-12. Ah ja, das Netz OBErkampf deckt das Viertel République ab. Die
Schnauze von République. Dieser Prunier, also wirklich! Mit ihm wurde es einem
nicht langweilig. Ein geistreicher Witzbold! Und nun LAKanal 45-67. Colle LAKanal 45-67. Colle wie Klebstoff. Das mußte ein Schreibwarenhändler
neben dem Gymnasium Lakanal sein. Oder Colle wie Arrest. Dann war’s
jemand, der am Gymnasium als Lehrer arbeitete. Lehrer verhängen Arreststrafen. Colle LAKanal 45-67...
    Die Pfeife fiel mir aus dem Mund, rollte über
die Bettdecke und landete auf dem Bettvorleger.
    Colle wie collectionneur, Sammler. Unnötig, sich zu fragen, was der Sammler in
seiner Kollektion hatte, wenn es einer von Pruniers Freunden war. Die Chancen
standen gut, daß es sich hierbei um den „legitimen“ Besitzer des freizügigen
Films mit Rita Cargelo handelte.
    Ich hob meine Pfeife vom Boden auf, setzte mich
auf die Bettkante und stützte mein Kinn in die Hand. Der Denker , weniger
muskulös, aber nicht weniger nackt als der von Rodin. Kaleidoskopartig schossen
Bilder durch meinen Kopf: der Gammler, der sich selbst Fotos von Rita Cargelo
widmete: Trivaux, der bärtige Psychoanalytiker, den ich am selben Abend
kennengelernt hatte und der ein Bild signierte, das nicht er, sondern zum
Beispiel Suzy Larcher gemalt hatte; Clarimonts Jadefiguren mit ihren leicht
obszönen Formen; ein Verrückter, der nach einer „beruhigenden“ Kinovorstellung
bei Dr. Clarimont etwas weniger verrückt war; ein Mann mit gesundem Verstand,
der seinerseits einer Kinovorstellung beiwohnte, deren Wirkung genau
entgegengesetzt jener Wirkung war, die der Ungar Lajos Ruff in seinem Buch „Die
Gehirn-Waschmaschine“ beschrieben hat.
    Ich schnappte mir das Telefon und wählte LAKanal
45-67. Niemand meldete sich. Ich ließ es mehr als ein dutzendmal läuten, aber
es hob einfach niemand ab. Warum auch? Vor einer Viertelstunde hatte man nicht
abgehoben, heute morgen hatte man nicht abgehoben... LAKanal 45-67. Dr.
Clarimonts Telefonnummer.
    Ich legte den Hörer auf die Gabel, grübelte noch
eine Weile... und zog mich an. Dann nahm ich den Hörer wieder in die Hand,
wählte aber zur Abwechslung diesmal eine andere Nummer.
    „Hallo, Zavatter? Hier Nestor Burma, der Sohn
der Nacht, Freund nächtlicher Zerstreuungen...“

13

Panoramaschwenk
     
     
    Nirgendwo ein erleuchtetes Fenster. Die
friedliche Rue de Sceaux schlief, fernab vom Zentrum, den Schlaf der Gerechten.
Das einzige Licht kam von den spärlichen Straßenlaternen. Wie ihre
Nachbarhäuser war die Villa von Dr. Clarimont in Dunkelheit getaucht. Ihre
Umrisse verschwammen mit denen der leise rauschenden Bäume des Parks.
    Zum x-ten Mal innerhalb von fünf Minuten drückte
ich auf den Klingelknopf an dem schmiedeeisernen Gartentor. Doch ich hatte
nicht mehr Erfolg als mit der Telefonnumer LAKanal 45-67.
    Nach dem letzten vergeblichen Versuch gab ich’s
auf, setzte mich ans Steuer meines Wagens und fuhr um das Anwesen herum. In der
Umfassungsmauer entdeckte ich eine niedrige Tür neben so etwas wie einer
Garage. Ich parkte meinen Wagen in einiger Entfernung und ging zu Fuß zurück.
    Vor der niedrigen Tür zögerte ich, wog

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