Im Schatten von Montmartre
Schauspielerin, die sie teuer bezahlen mußte. Doch eines Tages
widersetzte sie sich der Erpressung. Um sie zur Vernunft zu bringen,
entschließt sich Prunier, ihr den Streifen vorzuführen. Er besitzt zwar selbst
keine Kopie, weiß aber, wo er sich eine besorgen kann: bei Ihnen! Er bittet
Sie, ihm die Filmrolle auszuleihen. Sie lehnen ab. Das paßt Prunier überhaupt
nicht in den Kram. Ohne Film kein Geld von Rita Cargelo! Also beschließt er,
bei Ihnen einzubrechen. Das Unternehmen erscheint ihm nicht besonders
schwierig. Louveau, Ihr Butler, weiß, daß Sie sich kennen. Er wird den
Kameramann ohne weiteres ins Haus lassen. Prunier nutzt Ihre Abwesenheit in
Sceaux aus, um hier aufzukreuzen. Wie vorausgesehen, läßt der Butler ihn ins
Haus. Doch das Märchen, das Prunier ihm auftischt, überzeugt ihn nicht. Ihr
getreuer Butler gestattet dem diebischen Kameramann nicht, das Filmmaterial zu
sichten. Zum Dank dafür wird er niedergeschlagen, fällt unglücklich auf eine
Kante der Glasvitrine und bleibt mausetot liegen. Lassen wir ihn dort auf dem
Boden liegen, und folgen wir Prunier, der in diesen Vorführraum rennt. Hier, in
den Wandschränken, muß sich das Lager befinden. Die Schränke sind
abgeschlossen. Prunier bricht einen auf, und... Ja, was haben wir denn da?
Weiberklamotten, Wachspuppen und sicherlich auch Ihre Perücke, da Sie das
Wochenende in Männergestalt zu verbringen gedachten... ,Komisch, komisch“, sagt
sich Prunier. Und dann kapiert er. Doch im Augenblick interessiert er sich vor
allem für eins: für den Film mit Rita Cargelo. Er findet ihn in einem anderen
Schrank — der entsprechende Schlüssel hängt in dem aufgebrochenen — und nimmt
ihn mit. Entspricht das in groben Zügen den Tatsachen, Doktor?“
„Das ist sehr interessant“, bemerkt Dr.
Clarimont anerkennend. „Erzählen Sie weiter.“
„Jetzt betreten Sie die Szene. Sie kommen von
Ihrem Wochenendausflug zurück. Entdecken Louveaus Leiche. Was ist passiert? Das
ist leicht zu rekonstruieren. Als Sie nämlich feststellen, daß einer der
Wandschränke aufgebrochen ist und der berühmte Film in Ihrer Sammlung fehlt,
verstehen Sie: Prunier war hier! Er hat Louveau umgebracht und nicht nur den
Film geklaut, sondern auch Ihr geheimstes Geheimnis entdeckt. Dieses Schwein!
Gut, mit ihm wird später abzurechnen sein. Dringender ist im Moment eine
geschickte Tarnung des Dramas, das Sie selbstverständlich nicht vollkommen
vertuschen können. Sie schlagen die Scheibe einer Ihrer Vitrinen ein, nehmen ein
paar Nippes heraus, verstecken sie... vielleicht sogar in diesem Raum hier, von
dem Sie die Flics irgendwie fernzuhalten wissen. Sonst würden die womöglich
noch den aufgebrochenen Schrank entdecken und Ihnen unangenehme Fragen stellen!
Das Interesse der Polizei wird sich ohnehin auf Ihren Salon, den Ort des
,Diebstahls’, konzentrieren. Sie genießen so großen Respekt bei den Flics, daß
Sie sie davon abhalten können, dort herumzuschnüffeln, wo sie nicht
herumschnüffeln sollen. Sie sind schließlich nicht irgend jemand, Sie sind ein
früherer Sachverständiger bei Gericht, man kennt Sie bei der Kripo... Selbst
Monsieur Sébastien, den mißtrauischen Polizeioffizier, muß das beeindrucken.
Bei jedem anderen als Ihnen würden die Flics mit ihren klobigen Schuhen — die sie
gar nicht mehr tragen, an die wir uns aber noch bestens erinnern! — überall
herumtrampeln. Aber bei Ihnen! Kurz, Sie alarmieren die Polizei, und alles
verläuft ganz normal nach Ihren Wünschen. Das Ablenkungsmanöver gelingt. Und
nun kommt der berühmte Montagabend. Sie beschließen, Prunier einen Besuch
abzustatten und den Film zurückzuverlangen. Hatten Sie die Absicht, ihn
umzubringen? Offen gesagt, das glaube ich nicht. Brutal sind Sie nicht...“
„Danke“, sagte Clarimont lächelnd.
Bösartig, dachte ich, aber nicht brutal. Laut
fuhr ich fort:
„Ich glaube es nicht, aber wissen tu ich’s auch
nicht. Was ich ebensowenig weiß, ist, aus welchem Grunde Sie sich für den
Besuch als Frau verkleidet haben.“
„Wirklich nicht?“
Er schien sich köstlich zu amüsieren.
„Sie enttäuschen mich“, lachte er. „Strengen Sie
sich mal ein wenig an! Das ist unerläßlich für das Studium Ihres Falles.“
„Meinetwegen, Doktor. Nehmen wir an, Sie haben
sich aus Vorsicht, Perversität oder List verkleidet. Aus Vorsicht: Sollte
Prunier Besuch haben, wird man den Dr. Clarimont nicht erkennen. Aus
Perversität: Die Travestie ist nicht nur für den Hausgebrauch
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