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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Die Pfeffersäk-ke aus dem Norden sind vorgestern hier eingetroffen, um die Einzelheiten zu regeln. Der König will die Guldenzähler gnädig stimmen und schmiert ihnen Honig um die Bärte, wo’s nur geht. Wenn sie es wünschten, würde das Mysterienspiel erst um Mitternacht beginnen.«
    »Das ist wahr«, pflichtete ein fleischiger Scholar namens Robin Poussepain bei. »Seit im letzten März die holde Maria von Burgund bei einem Ritt durch Brügge vom Pferd gefallen ist, malmen Ludwigs Kiefer, um ein paar saftige Happen vom Burgunder Braten zu schluk-ken.«
    »Oder vom Pferd gestoßen wurde, wie manche munkeln.« Jehans Augen glitzerten listig. »So oder so, es kam König Ludwig gerade recht, daß Maria ihrem Vater, dem kühnen Karl, ins Grab folgte. Sie stand einer Verbindung ihrer Tochter mit Ludwigs Sohn nicht eben wohlwol-lend gegenüber.«
    »Töchterlein Margarethe dagegen kennt solche Bedenken nicht«, spann Poussepain den Faden weiter. »Wie sollte sie auch, mit ihren drei Lebensjahren?«
    »Klein, aber fein, bringt sie Ludwig ‘ne hübsche Mitgift ein«, sang Frollo. »Das Artois, die Freigrafschaft, das Maçonnais und Auxerrois, Salins, Bar-sur-Seine und Noyers, wie man munkelt. Nur einen Teil davon möcht’ ich besitzen.«

    »Um ihn bei Karten und Würfeln in einer Nacht zu verlieren!« spottete Poussepain. »Nur so kennt man Euch, Freund Frollo.«
    Jehan Frollos sprunghafte Gedanken waren schon weitergewandert, und er machte seiner Ungeduld mit lauten Schreien Luft: »Das Mysterienspiel, und zum Teufel mit den Flamen!«
    Seine Freunde und die unruhige Menge nahmen den Ruf auf, um ihn in einem lauter und lauter werdenden Chor zu skandieren. Die Ungeduld drohte in Zorn, der Zorn in handgreifliche Raserei auszuar-ten. Einem großen blonden Mann, der trotz seiner Jugend schon eine zerfurchte Stirn hatte, gelang es, die Menge von Raufereien abzuhalten, indem er den Beginn des Stücks Das weise Urteil der Jungfrau Maria ankündigte.
    »Sehr schön, Monsieur Tintenkleckser, nun lasst Euren Worten auch Taten folgen!« knurrte Joannes Frollo du Moulin. »Bin schon gespannt, ob Ihr in den Diensten meines Bruders die Dichtkunst verlernt habt.«
    »Dieser Mann hat für Euren Bruder, den Archidiakon, gearbeitet?«
    vergewisserte ich mich.
    Frollo nickte beiläufig. »Monsieur Pierre Gringoire mußte für ihn eine dicke Schwarte verfassen.«
    »Worüber?«
    Der blonde Teufel zuckte mit den Schultern. »Irgend etwas Gelehrtes, also nichts, was einen jungen Studenten interessiert.«
    Schließlich, und obgleich die hohen Herren aus Flandern ihre Prunktribüne noch nicht bezogen hatten, erscholl tatsächlich laute Musik, und vier Schauspieler betraten die Bühne zum Vorspiel. Spiel und Rede fanden bei weitem nicht so großen Anklang wie die grellen Kostüme. So nahm es nicht wunder, daß das Publikum sich leicht ablenken ließ, besonders als endlich die achtundvierzig flämischen Gesandten und nach ihnen hohe Pariser Herrschaften die Tribüne betraten. Sie wurden, Mysterienspiel hin oder her, vom Türsteher aus vol-lem Halse vorgestellt: »Maître Jacques Charmolue, königlicher Anklä-
    ger beim Kirchengericht.« – »Jehan de Harlay, Rittmeister und Befehlshaber der berittenen Nachtwache der Stadt Paris.« – »Messire Galiot de Genoilhac, Ritter, Lehnsherr von Brussac, Geschützmeister der kö-

    niglichen Artillerie.« – »Maître Dreux-Raguier, Wasser- und Forstauf-seher unseres Herrn Königs über die Länder Frankreich, Champagne und Brie.« – »Messire Louis de Graville, Ritter, Rats- und Kammerherr des Königs, Admiral von Frankreich, Vogt des Schlosses im Wald von Vincennes.« – »Maître Denis Le Mercier, Vorsteher des Blindenhauses von Paris.«
    Wacker stritten das dröhnende Organ des Türstehers und die weh-klagenden Stimmen der Schauspieler um die Gunst des Publikums, das sich endlich, als auch der letzte Platz auf der Ehrentribüne ausgefüllt war, dem Mysterium zuwenden mußte. So schien es, doch da erhob sich der flämische Gesandtschaftsführer, ein Genter Strumpfwir-ker namens Jacques Coppenole, zu einer Ansprache an die Allgemein-heit. Er verhöhnte das so wenig aufregende Mysterienspiel, schmeichel-te den Pariser Bürgern, indem er sie als ›Junker‹ anredete, und schlug vor, das Narrenfest nach Genter Art zu feiern und die häßlichste Fratze zum Narrenpapst zu küren. Das fand so stürmischen Beifall, daß der sprachlose Pierre Gringoire seine Aufführung vollends untergehen sah. Die

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