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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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unmenschliche, tieri-sche Weise. Dazu gesellte sich große Körperkraft, was an den mächtigen Händen und Füßen deutlich wurde. Und der Leib war fast so breit wie hoch.
    Der Bucklige war kaum mit einem einzigen Buchstaben zu beschreiben. Es wirkte, als habe einer dieser verwünschten Drucker sämtliche Lettern übereinander gelegt und dadurch jedem Buchstaben seine Kontur genommen. Am ehesten entsprach er mit seinen krummen Beinen und dem unförmigen Leib einem wuchtigen W, das mit zuneh-mendem Wuchs die Klarheit der Linien verlor.
    Wie stark er war, bewies der Glöckner, als Robin Poussepain vor ihn trat und ihn verhöhnte, ihm geradewegs ins hässliche Antlitz lachte.
    Quasimodo packte den fülligen Studenten am Gürtel und warf ihn zehn Fuß weit durch den Saal, ohne daß es ihn die geringste Anstrengung zu kosten schien. Ich wußte nicht, ob ich über das Scheusal weinen oder über den Narrenpapst in dem rot-violetten, mit silbernen Glockenblumen bestickten Rock lachen sollte.
    Monsieur Coppenole wagte sich als nächster an ihn heran und legte ihm begeistert die Hand auf die Schulter. Er lobte Quasimodos schö-
    ne Hässlichkeit, die ihm eigentlich nicht nur die Pariser Papstwürde, sondern auch die von Rom eintragen müsse. »Zur Abwechslung«, lachte der Flame, »säße dann jemand auf dem Heiligen Stuhl, der am Leib statt an der Seele verunstaltet ist!«
    Als Quasimodo auf Coppenoles Einladung, mit ihm zusammen einen zu heben, nichts erwiderte, sondern steif und starr dastand, wußte ich, was Maître Avrillot mit den Tauben gemeint hatte. Vielleicht war es die einzige Gnade, die der Schöpfer Quasimodo gewährt hatte, nicht zu hören, wie die anderen über ihn spotteten und lästerten.
    Der Flame begriff nicht so schnell und wiederholte seine Einladung, wobei er versuchte, den Glöckner mit sich fortzuziehen. Der Bucklige, der sich bedrängt fühlte, geriet in Wut und fletschte seine Zähne so fürchterlich, daß Coppenole einen Satz nach hinten machte. Sofort wichen auch alle anderen zurück, erkennend, daß sie nicht nur einen Narren, sondern auch ein Ungeheuer vor sich hatten.
    Sie krönten ihren Papst mit einer papiernen Tiara, streiften ihm eine flittergoldene Stola samt Mitra über, drückten ihm sogar einen mit Goldfarbe überzogenen Krummstab in die klobige Hand und drängten ihn, auf einer nicht minder bunten Sänfte Platz zu nehmen. Zwölf narrenpäpstliche Träger hoben die Sänfte an, und Quasimodo blickte in einer komisch-schaurigen Mischung aus Huld und Befriedigung auf seine Untertanen herab. Unter misstönendem Gesang, der Quasimodos mannigfache körperliche Eigenheiten feierte, setzte sich die seltsame Prozession in Bewegung, um nach altem Brauch erst durch die Gänge und Säle des Justizpalastes und anschließend über die Stra-
    ßen und Plätze von Paris zu ziehen.
    Ich schloß mich dem Umzug an. Vielleicht spürte ich, daß der Bucklige für mich noch Bedeutung erlangen würde, vielleicht wollte ich auch nur Jehan Frollo nicht aus den Augen verlieren, der den Zug an-führte. Durch ihn, so hoffte ich, würde ich es zu der begehrten Anstellung beim Archidiakon von Notre-Dame bringen. Wenn mich auch der Gedanke, mein zukünftiger Dienstherr sei der Bruder des Buckligen, nicht gerade beruhigte. Doch ein hungriger Magen ist stärker als ein beunruhigter Kopf.
    Die Prozession vergrößerte sich von Minute zu Minute, zog Zigeuner und Gauner, Bettler und Bürger an, während sie durch die Gassen der Cité-Insel flutete. Die Bettler wurden angeführt von ihrem König, dem vierschrötigen Clopin Trouillefou, der in einem von zwei struppigen Hunden gezogenen Karren halb lag und halb saß, einen Weinschlauch schwenkte und ebenso laut wie falsch zu den Klängen der Musikanten sang, die dem Zug einen feierlichen Anstrich verliehen.
    Nicht nur das Publikum, auch die Kapelle hatte Pierre Gringoire verlassen und das fröhliche Vergnügen dem erbaulichen Mysterienspiel vorgezogen.
    An der Spitze der Parade marschierte das bunte Volk der Zigeuner zu seiner eigenen und eigenartigen Musik, einem mal wilden, mal me-lancholischen Rhythmus, den Balafone und Tamburine schlugen. Ihr Anführer war ein verwegener Kerl namens Mathias Hungadi Spicali, den sie ›Herzog von Ägypten und Böhmen‹ oder einfach nur ›Ägypterherzog‹ nannten. Die runzlige gelbe Haut zeugte von vielen bewegten Jahren, innerlich aber schien er nicht so alt: In den dunklen Augen brannte ein wildes Feuer. Auf einem prächtigen Schimmel,

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