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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Wesen.«
    »Auf wen?«
    »Ihren Namen weiß ich nicht. Ich sprach die Maid auf der Saint-Michel-Brücke an. Sie hatte noch Arbeit zu verrichten und wollte dann zur Falourdel nachkommen.«
    »Für wen arbeitete sie?«
    »Keine Ahnung.«
    »Dachte ich mir.« Falcone sah mir tief in die Augen. »Ihr lügt, das wisst Ihr, und ich weiß es auch. Aber warum? Was verschweigt Ihr mir?«

    »Wie kommt Ihr darauf?«
    »Heute Mittag erzählte ich Euch, daß nur Falourdel der Zigeunerin helfen kann, und am Abend geht Ihr zu der Alten. So komme ich darauf!«
    »Dann müsstet Ihr eine Verbindung zwischen mir und der Zigeunerin vermuten.«
    »So ist es«, sagte Falcone zu meiner Überraschung. »Man hat la Esmeralda auffällig oft vor Notre-Dame tanzen sehen, obwohl der Bischof es untersagt hat. Und wer arbeitet dort?«
    »In Notre-Dame arbeiten Dutzende von Menschen.«
    »Aber die tauchen nicht ausgerechnet immer dort auf, wo Gevatter Tod zu Gast ist!«
    »Ich bringe, so scheint es, Unglück.«
    »In der Tat! Und wäre ich heute nicht gekommen, wärt auch Ihr in die Klinge des Sensenschwingers gelaufen. Wähnt Euch nicht zu sicher, Armand, der Hintermann der Falschmünzer geht ebenso noch seinen Geschäften nach wie der wahre Schnitter von Notre-Dame. Vielleicht wäre es sogar zu Eurer Sicherheit, wenn ich Euch verhafte.«
    »Dazu habt Ihr keinen Grund.«
    »Ihr vergesst, daß ich Euch in der Falschmünzerwerkstatt aufgegrif-fen habe.«
    »Und Ihr vergesst, Leutnant, daß man mich dort folterte und mit dem Tod bedrohte. Das ist wohl kaum ein Anlass, mich einer Kompli-zenschaft zu verdächtigen!«
    »Und weshalb hat man Euch gefoltert?«
    »Eine Verwechslung, nehme ich an.«
    Falcone zog die Stirn noch krauser, als sie es ohnehin war, und schüttelte den Kopf. »Ihr kommt Euch so verflucht schlau vor, Armand. Aber wenn Ihr Euch nicht vorseht, wird Eure Schlauheit Euch zum Verhängnis. Heute hätte sie Euch fast einen Kopf kürzer gemacht.«
    »Sagen wir, einen Arm schmaler.«
    Falcone blickte nachdenklich auf den Nebel über dem Fluss und meinte schließlich: »Ich könnte verbreiten lassen, Ihr wüsstet wichtige Dinge über die Falschmünzer. Dann wäre der Hintermann der Bande Euch rasch auf den Fersen.«
    »Seid Ihr ein Polizist oder ein Mörder?«
    Falcone grinste schal. »Ich werd’s mir überlegen. Tut Ihr das auch.
    Ich gebe Euch einen Tag. Morgen abend sehen wir uns wieder, und dann will ich endlich die Wahrheit von Euch hören!«
    Das Boot brachte mich zur Westspitze der Seine-Insel und setzte mich am Hôtel-Dieu ab. Als ich nach Notre-Dame zurückkehrte, tat ich es mit klopfendem Herzen. Zwar hatte Maître Gaspards Kumpan mit dem meckernden Lachen mich nicht gesehen und ahnte nicht, daß ich der Gefangene in dem Sack gewesen war. Aber ich wußte nun, daß es einen weiteren Mann gab, auf den ich achtgeben mußte. Nicht nur Dom Claude Frollo, auch sein jüngerer Bruder Jehan war ein Dragowit.

Kapitel 5
    Die Fliege im Netz der Spinne
    Eine sanfte Berührung auf meiner Wange erlöste mich aus unru-higem Schlaf. Im dämmrigen Zustand zwischen Schlaf und Erwachen glaubte ich an die zärtliche Liebkosung einer Frau und flüsterte Colettes Namen. Aber es war nur eine dicke schwarze Fliege, die mein Gesicht als Ruhekissen erkoren hatte und durch meine Bewegungen verscheucht wurde.
    Der frühe Morgen warf ein weiches, milchiges, unwirkliches Licht in meine Kammer, und al es darin schien verschwommen, als sei ich noch in der Traumwelt gefangen. Nur kurz gab ich mich der erleichtern-den Il usion hin, mein Abenteuer in Falourdels Kupplerhöhle und Gaspards Druckerei sei nur ein übler Traum gewesen. Dann bemerkte ich die schwarzen Schmierflecke auf meiner Matratze, und auch mein rechter Arm war von dicken Streifen fettiger Druckerschwärze gezeichnet.
    Ich stieg aus dem Bett und wankte zu den Fenstern, um eine Erklä-
    rung für das seltsame Licht zu finden, zu hell für die Nacht, zu dämmrig für den Tag. Die Dächer von Paris lagen unter einem halbdurchsich-tigen Schleier, der hin und wieder an einem Giebel oder einer Turmspitze aufriss. Als hätte sich die Wolkendecke vom Himmel niederge-senkt und die Stadt mit ihren weichen, wallenden Armen umschlungen. Ich öffnete die Tür und hörte die Geräusche des beginnenden Tages viel leiser als sonst, gedämpft und undeutlich. Feuchtigkeit erfüllte die Luft und verklebte die Atemwege. Der Nebel, der in dicken Schwaden vom Fluss aufstieg, tastete mit kalten Fingern nach mir und machte

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