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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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wurden müde, schliefen ein. Da lief ich davon und stürzte mich in die Seine. Ob ich mich töten oder den Schmutz dieser Männer abwaschen wollte, weiß ich nicht mehr. Zwei Laienbrü-
    der der Zölestiner zogen mich aus dem Wasser und brachten mich ins Hôtel-Dieu. Später führte mich einer der Zölestiner zum Bischof.«
    »Zum Bischof?«
    »Zu Maître Villon.«
    »War dieser Zölestiner vielleicht Maître Avrillot? Und sorgte im Hôtel-Dieu Schwester Victoire für Euch?«
    Sie nickte.
    »Die Dragowiten, zu denen auch der von unserem geheimnisvollen Bogenschützen getötete Zölestiner Overt gehörte, hatten wohl seit län-gerem Verdacht gegen die beiden geschöpft«, mutmaßte ich. »Die dragowitischen Spione müssen mich am Dreikönigsmorgen zusammen mit Avrillot vor Notre-Dame gesehen haben. Als Schwester Victoire mich dann pflegte, wurde ihr das zum Verhängnis. Mag sie auch eine einfache Seele gewesen sein, Avrillot muß ihr vertraut und sie in gewisse Zusammenhänge eingeweiht haben. Immerhin kannte sie den Ouroboros.« Mit Schaudern dachte ich an den geringelten Drachen, den die Sterbende mit ihrem Blut gezeichnet hatte.
    Nachdenkliches Schweigen legte sich über uns, bis Colette leise sagte: »Jetzt kennt Ihr meine Geschichte, Armand, und wisst, daß ich be-sudelt bin, keine Frau für einen ehrbaren Mann.«
    »Euch trifft keine Schuld. Was Ihr mir erzählt habt, ändert nichts an meinen Gefühlen für Euch, Colette!«
    Wie gern hätte ich ihr das bewiesen, indem ich sie an mich zog, meine Arme um sie legte, ihr Wärme und Geborgenheit schenkte, doch eine unsichtbare Wand trennte uns. So schien es mir, als ich sie ansah.
    Die Knie angezogen, die Arme um die Beine geschlungen, hockte Colette auf dem Felsen und starrte sehnsüchtig hinaus auf den Weiher, der jetzt, da die Sonne versunken war, düster und unheimlich vor uns lag wie ein Schlund der Hölle.
    »Wenn Ihr mich trotzdem liebt, ehrt mich das«, sagte sie leise. »Aber ich habe meine Entscheidung getroffen, als ich Maître Villon um das Vaterunser bat. Nie wieder will ich zulassen, daß ein Mann mich be-sudelt!«
    »Dann habt Ihr Euch den Katharern nicht aus Überzeugung angeschlossen. Es war eine Flucht. Vielleicht geschah es auch aus Dankbarkeit, weil sie Euch aufnahmen.«
    »Kann man nicht aus Überzeugung dankbar sein, aus Überzeugung fliehen?« Sie stand auf, legte eine Hand auf meinen Arm und sah mir in die Augen. »Verzeiht mir, Armand, aber für uns gibt es keine Zukunft. Wenn ich Euch durch Blicke oder Gesten Hoffnung gemacht habe, tut es mir leid. Während ich verwundet ans Lager gefesselt war, hatte ich viel Zeit, über alles nachzudenken. Mein Entschluß, nie wieder einem Mann zu gehören, steht unverrückbar fest.«
    In mir wurde der Drang, sie zu umarmen, übermächtig. Aber viel zu schnell löste sie sich von mir und tauchte mit leisem Rascheln in das Dickicht ein, das sie verschluckte. Noch lange saß ich am Wasser und dachte über Colette nach. Ich war ihr zu dem Weiher gefolgt, um ihre Liebe zu finden. Als ich irgendwann zurück zum Lager ging, hatte ich sie verloren.

Kapitel 3
    Das Nest der Großen Spinne
    Voilà, Plessis-les-Tours! Auch Le-Plessis-du-Parc genannt, weil des Königs Jagdgelände mit wilden Tieren aus allen Teilen der Welt ganz in der Nähe liegt. Seht euch nur die Mauern an, die Gräben, die Zinnen, die Türme! Sagt selbst, ist es nicht ein würdiges Nest, in das sich die Große Spinne verkrochen hat?«
    Sprach François Villon mit offener Bewunderung, oder hörte ich heimlichen Spott in seinen Worten? Wie auch immer, jetzt endlich wußte ich, weshalb er uns auf verschlungenen Wegen durch einen dichten, scheinbar endlosen Wald geführt hatte, statt den direkten Weg zur Ortschaft Plessis-les-Tours zu nehmen. Wir hatten keine Zeit zu verlieren. Wir schrieben den letzten Tag des Monats April, und wenn die Sonne versank, begann die Walpurgisnacht. Doch der Anblick, der sich vor unseren Wagen ausbreitete, rechtfertigte den Umweg.
    Dicht vor uns endete der Wald wie von einem Riesen mit dem Messer abgeschnitten. Das kahle Land wuchs zu einem sanften Hügel an, auf dem das Schloß des Königs stand. Trotz des milden Sonnenscheins, der die Touraine in frühlingshaftes Licht tauchte, muteten die Schloß-
    anlagen düster an, so als verschluckten sie jeden Lichtstrahl.
    Leonardo nickte anerkennend. »Die Befestigung liegt zwar nicht besonders hoch, aber man hat ein freies Schussfeld. Niemand kann sich ungesehen

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