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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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sehen.«
    »Und Ihr gebt den Coquillards neue Hoffnung?«
    »Ich versuche es. Macht Euch also keine Gedanken um die Muschelbrüder. Eure Besorgnis wegen der Maulwürfe ist eher berechtigt. Ich hätte schon früher darauf kommen müssen, daß diese Mordbande für die Dragowiten arbeitet!« In Villons Worten schwangen Selbstvorwür-fe und Reue mit.
    »Warum hättet Ihr das?«
    »Aber, Armand, Ihr selbst habt doch Maître Denis Le Mercier, den Vorsteher des Blindenhauses, bei der Zusammenkunft der Neun gesehen.«
    Das stimmte, und ich ärgerte mich, den Zusammenhang nicht frü-
    her entdeckt zu haben. Aber war es ein Wunder, daß ich bei der An-häufung von Geheimnissen und Gefahren um mich her selbst Offenkundiges übersah? Schließlich war dieses Missgeschick auch Villon unterlaufen.
    »Spart Euch das ärgerliche Brummen, mein Sohn. Hätten wir es ge-wußt, wir hätten selbst dann nichts ändern können.«
    »Viel eicht doch … Viel eicht wäre Leutnant Falcone noch am Leben!«
    Villon schüttelte den Kopf, und Regentropfen flogen von seiner Kapuze nach allen Seiten. »Sein Tod war beschlossen, er wußte zuviel, war zu neugierig. Frollo hat gemerkt, daß Manchot als Bauernopfer den Leutnant nicht befriedigt hat. Deshalb hat er die Maulwürfe aus-geschickt.«
    »Meint Ihr wirklich, daß sie es nicht auch auf mich abgesehen hatten?«
    »Wahrscheinlich wissen die Blinden nicht mal, wer mit Falcone in der Druckerei war. Hätte Frollo Euch nicht längst beseitigen können, wenn er den Wunsch hegte?«
    »Und doch spüre ich, daß er etwas ahnt. Alles, was er an den beiden letzten Tagen zu mir sagte, deutet darauf hin.«
    »Vielleicht hofft er, Euch auf seine Seite zu ziehen. Es gehört zu diesem Spiel, Weiß in Schwarz zu verwandeln oder den harmlosen Bauern in eine gefährliche Dame.«
    »Falls er bislang nichts geahnt hat, wird er es nun auf jeden Fall tun«, meinte ich. »Auch wenn er nicht weiß, daß ich letzte Nacht und jetzt bei Euch bin, wird ihm meine Abwesenheit zu denken geben.«
    »Warten wir’s ab. Vielleicht führt uns diese Reise ans Ende des Weges, und Ihr müßt ihm nie mehr gegenübertreten.«
    »Das gebe Gott!« stieß ich mit Inbrunst hervor.
    Daß dieser fromme Wunsch sich nicht erfüllen würde, daß mir noch unheilvolle Begegnungen mit dem Archidiakon bevorstanden, wuß-
    te ich nicht, als ich an jenem Tag einen Blick über die Schulter warf.
    Paris war nur noch ein unförmiger grauer Fleck, der mit dem trüben Himmel verschmolz. Der Nebel verwischte alle Konturen, selbst die der heimlichen Herrscherin über die Stadt, der Kathedrale von Notre-Dame.

    Gegen Mittag rissen die Wolken auf. Leuchtende Sonnenstrahlen kit-zelten die Baumspitzen der ausgedehnten Wälder. Aus den unwirtli-chen Sümpfen stiegen Dunstschwaden in die Höhe, wie in dem Bestreben, die Löcher in der Wolkendecke wieder zu schließen. Wir fanden eine Lichtung zum Lagern und konnten dank des trockenen Holzes, das wir in unter den Wagenkästen aufgespannten Tüchern mitführten, ein wärmendes Feuer entfachen. Colette rührte eine kräftige Brü-
    he aus Fleisch und Kräutern an. Daß die Wahrhaft Reinen Fleisch aßen, zeigte mir, daß sie die Gebote ihres Glaubens nicht unbedingt strenger beachteten als ein Großteil der Christen die des Heiligen Stuhls. Villon hätte wohl gesagt, wer gut kämpfen wolle, müsse auch gut speisen.
    Der Falbe und die Maultiere fanden auf der üppigen Wiese genügend Nahrung. Wir waren früh aufgebrochen und aßen mit dementspre-chendem Appetit. Nur Leonardo rührte lustlos in seiner Brühe herum, bis Villon ihn nach dem Grund fragte.
    Der Italiener zeigte mit dem Holzlöffel auf sein grasendes Pferd.
    »Mit dem Hengst wäre ich schon doppelt so weit, mindestens. Ein guter Reiter mit einem guten Pferd könnte in zwei, drei Tagen in Plessis sein. Mit den schweren Wagen haben wir Glück, wenn wir es rechtzeitig zum Maifest schaffen.«
    »Aber mit den Wagen fallen wir nicht auf«, widersprach Villon. »Aus allen Himmelsrichtungen kommen die Händler zum Maimarkt.«
    »Dafür könnte sich ein Reiter im verborgenen halten.«
    »Und was würde der Reiter tun, wenn er in Plessis angelangt ist? Den König warnen?«
    »Warum nicht?«
    Wieder stieß Villon sein ungesundes Lachen aus. »Verzeiht mir, Leonardo, Ihr seid sicher schon weit herumgekommen, aber des Königs Schloß in den Wäldern von Plessis habt Ihr gewiß noch nicht gesehen.
    Sonst wüsstet Ihr, daß niemand, der nicht in der Gunst Ludwigs oder

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