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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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für den Großmeister der Dragowiten halten. Damit ist für Ludwig der schlimmste Fall eingetreten: Sein Feind hat alle Sicherheitsschranken überwunden!«
    »Aber wenn der Quacksalber im Schloß etwas gegen Ludwig unter-nimmt, werden die vierhundert Schotten ihn vernichten.«
    »Deshalb muß Coictier den Anschlag außerhalb der Schloßmauern verüben, und zwar so, daß niemand ihn verdächtigt. Die beste Gelegenheit dazu hat er nach Sonnenuntergang – in der Walpurgisnacht!«

Kapitel 4
    Walpurgisnacht
    Die Masken werden nicht nur die Bauern verbergen, sondern auch die Vollstrecker. Dieser Satz, den Jehan Frollo zu Maître Gaspard Glaire gesagt hatte, ließ mich nicht los. Er wirbelte in meinem Kopf herum wie rings um mich her die Hexen und Dämonen mit ihren grässlichen Fratzen und ihrem schauerlichen Gesang. Die Nacht des Bösen war angebrochen. Es war die Nacht, die den Wesen der Finsternis, den Abgesandten Satans, den Teufelsbündern und den Verfluchten gehörte. Walpurgisnacht …
    Aber nicht der Mummenschanz der Bauern und Dörfler, die in ihren Verkleidungen und Masken die Dämonen beschworen, um sie dann für den ganzen Sommer zu bannen, versetzte mich in Erregung. Es waren Jehans Ausspruch und der bevorstehende Anschlag auf König Ludwig XI.
    Im Fackelschein sah ich unzählige Gestalten hüpfen und tanzen, als sei ihnen der kleine Ort viel zu beengt. Mit dem Verbergen der Gesichter hinter den Masken hatten Männer und Frauen jegliche Zurück-haltung fahren lassen. Was Kaufmann und Bauersfrau verwehrt war, trieben Dämon und Hexe um so hemmungsloser. Paare, denen sicher nicht sämtlich der Ehesegen gespendet worden war, drängten sich in Torbögen und Hauseingänge, um der Lust zu frönen, solange sie noch gestattet war. Erst das Eintreffen des Königs würde ihrem schändlichen Treiben ein Ende bereiten und damit meiner gespannten Erwartung, auf welche Weise auch immer.
    Meinen Begleitern ging es nicht anders als mir. Villon, Colette und die drei Italiener standen neben mir bei unseren Wagen und suchten mit angestrengten Blicken den Dorfplatz ab, um einen Hinweis auf die Verschwörer zu entdecken. Vergeblich. Entweder war die Maskerade der Dragowiten vollkommen, oder sie hatten von dem Anschlag auf Ludwig Abstand genommen. Es ging auf Mitternacht zu, und noch immer hatten wir keine Spur von den Attentätern entdeckt. Statt dessen übertönten nun Trompeten und Posaunen feierlich die ausgelassene Musik der Spielleute, und Villon sagte düster: »Der König kommt!«
    Als erstes preschte ein Trupp bewaffneter Reiter auf den Dorfplatz und hieb mit Stöcken eine Lücke in das Dämonengewimmel. Ein Offizier rief laut Befehle, und die Reiter bildeten zwei Reihen, zwischen denen eine breite Gasse für den König frei blieb. Das keifende Protest-geschrei der so unsanft verdrängten Nachtwesen schien die Reisigen nicht im mindesten zu stören. Ungerührt, die kantigen Gesichter starr und ernst, saßen sie auf ihren prächtigen Pferden.
    »Das sind die Schotten!« sagte Villon mit unverhohlener Anerken-nung. »Hätte Ludwig es befohlen, hätten sie auch mit Schwertern auf das Volk eingeschlagen.«
    Die Menge beruhigte sich beim Einmarsch des Königs. Vorneweg marschierten Bannerträger und Bläser in farbenfrohen Gewändern.
    Dann kam eine achtzig Mann starke Abteilung schottischer Schützen, zu je einem Viertel mit Hellebarden, Arkebusen, Armbrüsten und den herkömmlichen Langbogen bewaffnet. Der König selbst trug ein wadenlanges Prunkgewand aus scharlachrotem Satin und ritt einen Schimmel, wie man ihn sich weißer nicht vorzustellen vermochte.
    Rot und Weiß waren die königlichen Farben. Der reich bestickte rote Rock leuchtete weithin, als biete der König sich freiwillig als Zielscheibe dar.
    So auffällig sein Aufzug auch war, sein Gesicht lag im Schatten einer Kapuze und eines großen, ebenfalls roten Hutes, so daß mir nur die Erinnerung an meine Begegnung mit ›Gevatter Tourangeau‹ auf den Türmen von Notre-Dame blieb. Weiße Straußenfedern auf dem Hut tanzten bei jedem Nicken, mit dem Ludwig sich für die Hoch- und Willkommensrufe bedankte. Das rüde Vorgehen der Reisigen war bereits vergessen. Das Volk der Touraine hatte, wie das Volk überall in der Welt, ein kurzes Gedächtnis, aber leuchtende Augen für den Pomp der Macht.
    Den Abschluß des Zugs bildeten des Königs Dienstboten. Sie halfen ihm vor einer hölzernen Tribüne beim Absteigen. Ludwig nahm auf einem gepolsterten Sessel oben auf der

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