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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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näher war denn der Tag, schritt Colette langsam, wie in geistiger Entrückung, ans Ufer. Natürlich war es ungehörig, daß ich sie aus meinem Versteck im Dickicht beobachtete, aber ihre Schönheit zog mich unwiderstehlich in ihren Bann. An ihrem jugendlich straffen Leib, der im zarten Rosa eines sommerlichen Sonnenuntergangs glänzte, perlte das Wasser wie Tau im frischen Morgen auf dem Gras. Was hätte ich dafür gegeben, ein Tropfen aus dem Teich zu sein, mich für immer an die samtige Haut Colettes zu schmiegen!
    Der helle Flaum, der das verheißungsvolle Dreieck zwischen ihren Schenkeln bedeckte, glitzerte feucht und verführerisch. Als sie sich nach vorn beugte, um ihr nasses Haar auszuwringen, leuchteten ihre spitzen Brüste im letzten Abendrot wie Früchte vom verbotenen Baum des Paradieses. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als diese Früchte zu pflücken, mit Colette zu verschmelzen, sie zu lieben und zu begehren, sie vor allem Übel und aller Traurigkeit zu bewahren.
    Sie trocknete sich mit einem Tuch ab, zog sich an und rief: »Ich bin fertig, Armand, Ihr könnt rauskommen!«
    Daß Colette mein ungehöriges Benehmen bemerkt hatte, traf mich wie ein Schlag. Von tiefem Schamgefühl erfül t, verließ ich das Dickicht.
    »Hat Euch gefallen, was Ihr gesehen habt?«

    Ihre Frage erschreckte mich. Kein Spott, keine Verärgerung und nicht der Hauch eines Vorwurfs hatte in ihren Worten gelegen. Und gerade das verstand ich nicht. Oder ich wollte es nicht verstehen. Denn die einzig denkbare Erklärung schien die, daß ich ihr so gleichgültig war wie ein Stein oder ein Schilfrohr.
    »Es hat mir gefallen, denn Ihr gefallt mir«, sagte ich schließlich und überlegte, wie ich mich für mein Verhalten angemessen entschuldigen sollte.
    »Wollt Ihr mich?« fragte Colette und brachte das wacklige Gebäude einer gerade mühsam zurechtgelegten Entschuldigung zum Einsturz.
    »Ich … Euch? Äh, wie …« Ich stammelte wie der größte Narr, aber wer hätte das an meiner Stelle nicht getan? Tausend Worte schwirrten mir durch den Kopf, doch kein einziges wollte über meine Lippen kommen.
    »Begehrt Ihr mich?«
    »Ja!« stieß ich inbrünstig hervor.
    »Also wollt Ihr mich nehmen, nicht wahr?« Sie zeigte auf den Felsen unter ihren nackten Füßen. »Gleich hier?«
    Immer noch sprach sie ohne jede Anteilnahme, und ihr Gesicht war reglos, wie tot. Ich wußte nicht, was ich antworten sollte. Natürlich begehrte ich sie, ich hatte es ihr gesagt. Aber die Art, wie sie sprach, die Kälte, die von ihr ausging, brachte die Flamme der Leidenschaft zum Erlöschen.
    »Wenn Ihr mich jetzt nehmt, habt Ihr’s hinter Euch und könnt Euch anderen Frauen zuwenden. Dann wisst Ihr, wie es mit der kleinen Colette ist.«
    Das war genug. Ich packte sie bei den Schultern, schüttelte sie, stieß einen reichlich groben Fluch aus und knurrte: »Bei allen Heiligen, ich liebe Euch, nicht irgendwelche anderen Frauen. Und wenn Ihr auch etwas für mich empfindet, dann will ich das Lager mit Euch teilen. Sonst nicht!«
    »Aber ich gehöre zu den Guten Leuten. Ihr wart dabei, als ich das Vaterunser empfing. Um meine Seele zu reinigen, muß ich auf die Gelü-
    ste des Fleisches verzichten.«

    »Aha. Und deshalb bietet Ihr Euch hier an wie ein Ferkel auf dem Schweinemarkt!«
    »Ich will Euch nur das geben, was alle Männer wollen.« Nach einer kurzen Pause fuhr sie leiser fort: »Was andere sich schon genommen haben.«
    »Was wollt Ihr damit sagen, Colette?«
    Sie setzte sich auf den Felsen und blickte zu mir auf, wirkte plötzlich wie ein scheues, verängstigtes Kind. »Ich habe Euch berichtet, wie mein Vater von den falschen Scharwächtern entführt wurde und daß ich ihnen entkam. Aber ich habe Euch nicht erzählt, wie ich ihnen entkommen konnte. Denn sie nahmen nicht nur meinen Vater gefangen, auch ich fiel in ihre Hände. Einige von ihnen brachten meinen Vater fort, mich aber schleppten sie in einen alten Schuppen und da …«
    Ihre Stimme versagte. Sollte ich froh darüber sein? Wenn sie noch Gefühle besaß, mochte sie auch für mich etwas empfinden können.
    Aber nach dem, was sie mir erzählt hatte, konnte ich keine Freude spü-
    ren.
    »Ich weiß nicht, wie lange es dauerte«, fuhr sie schließlich fort. »Es müssen Stunden gewesen sein. Und ich kenne keine Worte für all das, was sie mit mir taten. Bis dahin wußte ich nicht, daß so etwas überhaupt möglich ist. Einer von ihnen holte ein paar Kürbisflaschen Wein, und sie betranken sich,

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