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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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ängstliches Meckern aus. Wieder beugte sich la Esmeralda zu ihr hinunter und redete leise auf sie ein. Ich hörte die Worte, aber ich verstand die Sprache nicht.
    In diesem Augenblick erwies sich, daß jene Gasse der wohl am wenigsten ruhige Ort im nächtlichen Paris war. Zwei weitere Gestalten lösten sich aus der Dunkelheit und sprangen auf die Tänzerin zu. Die Ziege mußte ihre Anwesenheit gespürt haben. Den Umrissen und den kraftvollen Bewegungen nach waren es Männer, von denen der eine unter einer dunklen Kutte mit übergezogener Kapuze verborgen war.
    Den anderen aber erkannte ich – und zuckte zusammen. Es war der unförmige, hässliche Glöckner von Notre-Dame, der sich auf die Zigeunerin stürzte und sie fest mit den Armen umschlang.
    Mein Herz pochte, wie wohl auch das des bedauernswerten Mädchens, bis zum Hals. Und doch wagte ich nicht, la Esmeralda beizustehen. Hätte ich gegen zwei Männer, von denen der eine das Monstrum von Notre-Dame war, bestehen können? Und selbst wenn, lief ich dann nicht Gefahr, den Häschern in die Hände zu fallen und als einzigen Lohn für meine Ritterlichkeit einen Hanfstrick zu erhalten, der sich rau um meinen Hals legte?
    Da schien von anderer Seite Hilfe zu nahen. Der Mysteriendichter, den ich in meiner Erregung ganz vergessen hatte, sprang aus seinem Versteck. Sein Blick kreuzte sich mit dem des Vermummten, soweit das mit einem, dessen Gesicht im Schatten liegt, möglich ist. Wie mit einem Bann belegt, blieb Gringoire stehen, ohne der kreischenden und in Quasimodos Armen heftig strampelnden Frau beizuspringen.
    Der Glöckner schleppte sein zappelndes Opfer davon, begleitet von dem Vermummten und der böse meckernden Ziege – und wäre um ein Haar unter die Hufe eines Rappen geraten, der an der nächsten Ecke aus einer anderen Gasse galoppierte.
    »Halt, ihr Pack, lasst das Weib los!« schrie der Reiter mit befehlsgewohnter Stimme, die wie Donnerhall durchs Dunkel rollte. Er trug die Rüstung eines Offiziers, eines Hauptmanns der königlichen Bogenschützen.
    Ich dankte meinem Instinkt, der mich davor bewahrt hatte, der Zigeunerin vorschnell zu Hilfe zu eilen. Der Hauptmann war dem Mädchen ein besserer Helfer, und ich wäre jetzt vermutlich sein Gefangener geworden. Denn natürlich gab es nur einen Grund für seine Anwesenheit in dieser düsteren Gegend: Er suchte nach dem vermeintlichen Mörder von Maître Philippot Avrillot.

    Der Offizier, ein hochgewachsener Mann mit martialischem Burgunderschnurrbart, zügelte den Rappen und entriss dem verdutzten Glöckner die schon sicher geglaubte Beute. Der Hauptmann legte la Esmeralda vor sich übers Pferd und hieb dem angreifenden Glöckner die stumpfe Seite seiner Degenklinge über das Haupt. Quasimodo taumelte zurück, geradewegs in die Arme einer bewaffneten Schar. Es waren die Männer des Hauptmanns, die ihrem Anführer mit gezücktem Pallasch folgten. In der Finsternis hatte Quasimodos Äußeres keinen Schrecken, und so fielen die königlichen Bogenschützen furchtlos über ihn her, bis er gefesselt vor ihnen lag.
    Und der vermummte Begleiter des Glöckners? Er schien sich ebenso in Luft aufgelöst zu haben wie Pierre Gringoire. Einmal mehr erschien mir Paris als Stadt der endlosen Aufregungen. Oder der Wunder?
    La Esmeralda richtete sich im Sattel auf und hielt sich am kräftigen Körper des Hauptmanns fest, was diesem wohl alles andere als unangenehm war. »Wie heißt Ihr, mein tapferer Retter?« fragte sie in unserer Sprache, aber mit fremdartigem Zungenschlag.
    Der eitle Gockel reckte seine gepanzerte Brust vor. »Hauptmann Phoebus de Châteaupers, zu Euren Diensten, meine Schöne.«
    La Esmeralda hauchte ein zartes »Danke«, glitt mit der Schnelligkeit eines von der Sehne gelassenen Pfeils zu Boden, schnappte sich die kleine Ziege und wurde auch schon eins mit den Schatten. Offenbar verspürten alle an diesem nächtlichen Schauerstück Beteiligten den drängenden Wunsch, sich schnellstmöglich zu verflüchtigen. Ich übrigens auch, doch mein schwebendes Versteck ließ das nicht so ohne weiteres zu.
    Der Hauptmann blickte ihr enttäuscht nach, gab Befehl, den Gefangenen noch fester zu binden, und knurrte: »Beim Nabel des Heiligen Vaters, ich hätte lieber das Weib behalten als diese Missgeburt!«
    »Man kann’s nicht ändern, Herr Hauptmann«, gluckste einer seiner Männer. »Das Grasmückchen ist davongehüpft, nur die Fledermaus ist uns geblieben.«
    »Und noch nicht mal die, die wir suchten.« Der Offizier

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