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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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weniger zärtliche Bekanntschaft geschlossen hatte.
    »Wo bin ich?« fragte ich und wandte den Kopf, um mich umzusehen.
    Das hatte zwei Auswirkungen. Zum einen erblickte ich weitere Betten mit Kranken sowie Nonnen und Novizinnen, welche die Bettlägerigen umsorgten. Zum anderen fuhr ein gehöriger Schmerz durch meinen Kopf. Ich sackte zurück auf mein Lager, schloß für kurze Zeit die Augen und stieß ein unterdrücktes Stöhnen aus.
    »Ihr seid im Hôtel-Dieu, Monsieur, dort, wohin Euer Freund Euch gebracht hat. Es war sehr leichtsinnig von Euch, mit dem Gaunerpack in der Neustadt anzubändeln.« Die Nonne stieß einen tiefen Seufzer aus. »Hätten die Heiligen Drei Könige gewußt, daß Paris an ihrem Eh-rentag einmal das Narrenfest begehen und soviel Gaunerpack auf die Straßen locken würde, wie es wohl sonst auf der ganzen Welt nicht zu finden ist, hätten sie vielleicht einen anderen Termin für ihren An-trittsbesuch bei unserem Herrn Jesus gewählt.«
    Als ich still in meinen Kissen lag, klang der Kopfschmerz ab und gab klärenden Gedanken Raum. Ich erinnerte mich an die schrecklichen Vorfälle des Abends, an meine Flucht und an das Versteck in der Tonne, die plötzlich zu Boden gekracht war. Aber des Gaunerpacks, mit dem ich mich eingelassen haben sollte, konnte ich mich beim besten Willen nicht entsinnen. Und noch etwas wollte mir nicht einleuchten.
    »Ihr spracht von meinem Freund, ehrwürdige Schwester«, sagte ich und schlug die Augen wieder auf. »Wo ist er jetzt?«
    »Fortgegangen, nachdem er den Bruder Portarius wachgeklopft und auf Euch aufmerksam gemacht hatte.«
    Ich rieb meinen Kopf und suchte verzweifelt nach verlorenen Erinnerungen. »War es so spät?«
    Die Antwort klang vorwurfsvoll. »Die Komplet war längst gesprochen, und die Zeit der Mette lag nur noch wenige Stunden entfernt.«
    »Also gegen Mitternacht.«
    »So kann man es auch ausdrücken, Monsieur Sauveur.«
    »Ihr kennt meinen Namen?« fragte ich überrascht.
    »Euer Freund nannte ihn dem Bruder Portarius. Ihr seht nicht nach einem Kopisten aus, doch das kann schon vorkommen, wenn man unter die Gauner fällt. Vielleicht seid Ihr daran nicht ganz unschuldig, wenn Ihr Eure Freunde unter den Bettlern wählt.«
    »Wie kommt Ihr darauf?«
    »Weil sich der Bettelbruder, der euch herbrachte, als Euer Freund vorstellte.«
    »Welchen Namen nannte er?«
    »Ich war nicht dabei, ich weiß es nicht.« Das eben noch strenge Gesicht der Augustinerin nahm einen milderen Ausdruck an, und sie fuhr fort: »Aber ich will Euch keine Vorwürfe machen, das steht nur unserem letzten Richter zu. Gestern abend war ganz Paris ein Toll-haus. Habt Ihr gehört, daß man Maître Avrillot, den Almosenier vom Ordo Sancti Benedicti Coelestinensis, auf schändliche Weise ermordet hat? Noch dazu im Hof des Grand-Châtelet, vor den Augen des Profoses! Wenn so etwas geschehen kann, wo soll sich ein Christenmensch dann noch sicher fühlen, frage ich Euch?«
    Die Antwort kannte ich nicht, sie war mir auch gleichgültig. Ganz andere Fragen schossen durch meinen Schädel wie ein wilder Hagel-schauer. Erneuter Kopfschmerz war die Folge. Und ein plötzlicher Anfall von Furcht drohte mir die Luft zum Atmen zu nehmen. In diesem jämmerlich kalten Januar war mir auf einmal heiß wie am sonnigsten Julitag, und ich spürte dicke Schweißperlen auf meiner Stirn.
    Ich war Maître Avrillots Mörder!
    Nein, natürlich war ich es nicht, der Herr ist mein Zeuge! Ich wollte den Zölestiner vielmehr retten. Aber wer würde mir das glauben? Offenbar und ohne mein Wissen der Freund von Bettlern, wurde ich verdächtigt und gejagt. Kannten die Häscher mein Gesicht, gar meinen Namen? Aber wie kam es dann, daß ich unbehelligt im Hôtel-Dieu lag, direkt unter den Türmen von Notre-Dame? Fast hätte ich die Nonne danach gefragt, doch die Einsicht, daß ich mich damit selbst ans Messer geliefert hätte, ließ mich schweigen.
    »Was habt Ihr, Monsieur, ein Schwächeanfall?« Die Nonne tupfte mit dem Tuch über mein Gesicht und wies eine der weißgekleideten Novizinnen an, eine kräftige Fleischbrühe zu bringen.
    »Mir wurde schwindlig bei dem Gedanken, was mir gestern nacht alles hätte zustoßen können«, erklärte ich und log damit nicht einmal.
    »Ein Mord an einem Ordensbruder! Kennt man den Mörder?«
    »Nein, nur den Mann, der Maître Avrillot getötet hat.«
    Ich tat überrascht. »Ist es nicht ein und derselbe?«
    Die Nonne schüttelte ihr massiges Haupt. »Verursacht hat den Tod des

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