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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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anderem im Magen als einem Laib Brot läuft man nicht wie jener verehrungswürdige Held, der die Siegesbot-schaft von Marathon nach Athen getragen hat. Meine einzige Rettung war ein Versteck.
    Als ich anhielt und mich suchend umsah, hörte ich, wie die Verfolger näher kamen. Vielleicht hatten sie keine deutliche Spur, aber sie hielten zumindest die Richtung ein. Vermutlich hatten die Weinkenner auf jenem Platz hinter mir oder andere Bummler mich gesehen und den Greifern den Weg gewiesen. Ich mußte mich beeilen: ein Versteck!

    Ich stand in einer jener engen Handwerkerstraßen, die nach dem Verlöschen der Lichter in den Häusern vollkommen finster sind. Die Gebäude standen so dicht gedrängt, daß die Giebel einander über der Straßenmitte fast berührten und kaum etwas Mondlicht durchließen.
    Hätte nicht an einer Mauerecke eine Marienstatue gelehnt, zu deren Füßen ein ölgetränktes Stück Werg hinter einem Eisengitter eine ruhige Flamme erstrahlen ließ, hätte ich kaum die Hand vor Augen gesehen.
    Kurz dachte ich an einen Hinterhof oder einen tiefen Hauseingang.
    Aber an genau solchen Orten würden meine Häscher zuerst nach mir suchen. Bei einem Blick gen Himmel – wobei auch sonst – kam mir die Erleuchtung. Ich stand vor dem Anwesen eines Böttchers. Als Zeichen seiner Handwerkskunst hing eine große, an beiden Seiten offene Tonne an zwei Eisenhaken über der Hofeinfahrt.
    Ich kletterte am Mauerwerk hinauf, kroch in das Fass und kauerte mich so zusammen, daß ich hoffen konnte, in der Dunkelheit von draußen nicht gesehen zu werden. Leise Schritte klapperten durch die Gasse. Gleich würde sich erweisen, ob es klug gewesen war, Diogenes von Sinope nachzueifern.
    Immer noch hielt ich den Gegenstand in der Hand, den ich von dem sterbenden Zölestiner empfangen hatte, doch erst jetzt wurde ich mir dessen bewußt. Es schien sich um eine hölzerne Figur zu handeln, ein Schnitzwerk, das ich in der Dunkelheit meines Verstecks nicht näher zu betrachten vermochte. Ich steckte Maître Avrillots Gabe in meine Geldkatze, um sie mir bei anderer Gelegenheit anzuschauen. Jetzt war es angebrachter, auf meine Häscher zu achten, und ich spitzte die Ohren.
    Start eines aufgeregten Verfolgertrupps schien nur eine einzelne Person auf mein Versteck zuzukommen. Hatte ich mich in meiner rasen-den Furcht getäuscht? Hatte ich die Häscher längst abgehängt und mich von einem einsamen Nachtbummler erschrecken lassen? Neugierig schob ich meinen Kopf so weit vor, daß ich über den Rand der Tonne hinwegspähen konnte.
    Und wirklich, es war nur ein Mann, der durch die Gasse schlich.

    Aber wie ein weinmüder Bürger auf dem Weg ins ersehnte Bett wirkte er nicht. Er sah sich suchend um, und dabei fiel der Schein des Marienlichts auf sein bleiches, hageres Antlitz. Augenblicklich erkannte ich in dem großen blonden Mann jenen unglücklichen Dichter, dessen Mysterienspiel im Justizpalast für die Zuschauer wahrhaftig ein Mysterium geblieben war: Monsieur Pierre Gringoire.
    Ich zuckte zusammen, da er seine Schritte beschleunigte, als habe er etwas erspäht. Mich?
    Doch er ging unter der Tonne entlang und drückte sich zwischen den Häusern eines Korbflechters und eines Siebmachers in einen dunklen Winkel, den das Licht der Heiligen Jungfrau nicht erreichte. Also war Gringoire kein Jäger, sondern ein Fallensteller. Aber wem lauerte er hier auf? Und wie sollte ich mein Versteck unbemerkt verlassen, solange er in jenem Winkel stand und auf die Straße spähte?
    Neuerliche Schritte verhießen Antworten auf meine Fragen, ich erhoffte es zumindest. Auch diesmal schien es sich um keine Verfolger-rotte zu handeln. Die Schritte klangen noch leiser als die Gringoires.
    Ich sah eine schmale Gestalt sich umrisshaft am Ende der Gasse ab-zeichnen. Sie zögerte, blieb stehen, bückte sich ein wenig und sprach –
    so leise, daß ich nichts verstand. Was sagte sie? Und vor allen Dingen, mit wem redete sie?
    Während ich mich noch wunderte, mit wieviel Leben eine stille Pariser Handwerkergasse des Nachts erfüllt war, trat die Gestalt in den Lichtschein Mariens. Es war eine junge Frau, und sie mußte zu der kleinen Ziege gesprochen haben, die sie an einem Band mit sich führte.
    Das Tier interessierte mich nicht, seine Herrin dagegen um so mehr.
    La Esmeralda! Die Zigeunerin, die mit ihrem Tanz die Männer auf dem Grève-Platz verzaubert hatte.
    Fast unter meiner Tonne, sträubte sich die weiße Ziege weiterzuge-hen und stieß ein schrilles,

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