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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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schien noch immer wütend. »Na, macht nichts, ein Frauenräuber ist fast so gut wie ein Mörder. Und wer weiß, vielleicht hat unser Fang etwas mit dem Kerl zu schaffen, der uns entgangen ist. Geben wir die Suche auf. Hier ist der Mörder jedenfalls nicht.«
    Ich begrüßte den Irrtum (der eigentlich keiner war, denn ich betrachtete mich keineswegs als Mörder), der Phoebus de Châteaupers mitsamt seiner Rotte und ihrem Gefangenen abrücken ließ.
    Als Hufschlag, Schritte und Stimmen verklungen waren, harrte ich noch eine ganze Weile in meinem Versteck aus. Der nächtliche Aufruhr mußte die Bürger geweckt haben. Hinter den dunklen Fenstern mochten sie stehen und durch die Ritzen in den zugezogenen Läden nach draußen spähen. So wartete ich ab, und nur der schmerzhaft na-gende Hunger hinderte mich am Einschlafen.
    Erst nach einer guten Stunde kroch ich aus meinem Fass. Zu hastig wie sich herausstellte. Die Tonne schwankte an den Haken, und dieselben rissen aus der Mauer. Bevor ich noch Diogenes für sein unglückseliges Beispiel verfluchen konnte, landete ich, Kopf voran, mitsamt dem zersplitternden Fass auf dem Pflaster. Mir war, als platze mein Schädel auf. Dann erlosch die Helligkeit des Marienlichts und mit ihm ganz Paris.

Kapitel 5
    Dom Claude Frollo
    O Glück, das der sanften Berührung durch eine zarte Frauenhand entspringt! Schauer jagen über den Körper, Wärme durchflutet ihn. Beides geboren aus der Lust der Empfindungen und der Vorfreude auf das, was noch kommen mag. Mein Geist war schläfrig und verwirrt, weshalb ich dieses Glücksgefühl nicht genießen konnte, wie es ihm gebührt. Noch waren meine Augen geschlossen, war die Welt um mich herum finster wie die wolkigste Nacht. Und doch wußte ich, daß es eine Frau war, die mir mit einem feuchten, wohltuend kühlen Tuch über Stirn und Wangen strich. Nur ein Weib konnte solche mütterliche Sorgfalt walten lassen.
    Etiennettes schmales Gesicht tauchte vor meinem inneren Auge auf.
    Ich lag wieder in jenem warmen Bett, das Donatien Frondeur, zugunsten seiner auswärtigen Geschäfte und in sträflichem Leichtsinn, seiner Gemahlin allein überlassen hatte. Und mir. Die süße Etiennette beugte sich über mich, kitzelte mich mit ihren blonden Locken und gewährte mir einen Blick auf die beiden spitzen Hügel ihrer Weiblich-keit, die aus dem engen Dekolleté hervorlugten. Ich flüsterte den Namen der Geliebten und griff begehrlich nach den beiden rosigen Birnen, die wie reife Früchte über mir hingen und nur darauf warteten, gepflückt zu werden.
    Die Berührungen waren nicht länger sanft und zärtlich. Derb klatschte der feuchte Lappen auf meine Wangen, und Etiennette wurde meinen ausgestreckten Armen entrissen. Ganz so wie an jenem unglückseligen Abend, als ihr Gemahl unerwartet ins Schlafgemach stürm-te und die Fackel unserer Leidenschaft mit Hieben und Schreien zum vorzeitigen Erlöschen brachte.
    »Euch geht’s wohl schon wieder recht gut, Monsieur! Zu gut, daß Ihr mit geschlossenen Augen nach den Frauen greift. Sucht Euch gefälligst eine, die nicht das Gelübde nach der Regel des heiligen Augustinus abgelegt hat!«
    Die keifende Stimme scheuchte mich im Verein mit dem jetzt höchst unsanft geschwungenen nassen Lappen aus meinem schönen Traum.
    Erschrocken riß ich die Augen auf, und Etiennette war Vergangenheit.
    Ich lag tatsächlich in einem Bett, doch der Ort war mir unbekannt. Ein großer, von Sonnenlicht durchfluteter Saal, in dem sich in zwei langen Reihen ein Bett ans andere drängte. Die meisten waren belegt, mit Kranken, wie mein allmählich erwachender Verstand vermutete. Einige Betten waren mit Baldachinen überspannt und mit Vorhängen vor neugierigen Blicken geschützt. Dort lagen wohl jene Siechen, die besondere Ruhe benötigten. Dazwischen bewegten sich eilfertig Frauen im Habit der Augustinerinnen. Sie fegten den Boden, schüttelten die Betten auf und kümmerten sich um die Kranken.
    Auch das breite Gesicht über mir, das so gar nichts mit dem blonden Engel Etiennette gemeinsam hatte, steckte im schwarzen Non-nenschleier. Die fleischigen Nasenflügel zitterten erbost, und die auf-geworfenen Lippen verzogen sich zu einer vorwurfsvollen Miene. Aus großen Augen fielen strafende Blicke auf mich herab. Kräftige Hände, denen solch zarte Berührungen, wie sie mir widerfahren waren, beim ersten Anblick gar nicht zuzutrauen waren, hielten eine kleine Wasserschale aus Zinn und das feuchte Tuch, mit dem ich anfangs mehr und dann

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