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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Almoseniers das durchgegangene Ross von Messire Gilles Godin, der Notar am Châtelet ist. Zweifellos ein Ehrenmann und über jeden Verdacht erhaben.«

    »Zweifellos«, murmelte ich und dachte an den grimmigen Reiter des Apfelschimmels, der erst den Laienbruder über den Haufen geritten und anschließend mich des Mordes beschuldigt hatte.
    »Die Schuld an Maître Avrillots Tod trifft nicht ihn, sondern einen Bettler aus der Menge, die sich dem Umzug der flämischen Gesandtschaft angeschlossen hatte. Messire Godin hat deutlich gesehen, wie der Bettler den armen Avrillot vor sein Pferd stieß. Dann floh dieser Sohn des Teufels in die finstere Nacht hinaus.« Bei der Erwähnung des Bösen schlug die Augustinerin hastig das Kreuz vor ihrer Brust.
    »Und man konnte ihn nicht fassen?«
    »Nein, Monsieur. Vielleicht haben diejenigen recht, die behaupten, daß sich am Dreikönigstag nicht nur der Himmel, sondern auch die Hölle öffne, um die Dämonen auf die Welt loszulassen und um Mitternacht wieder zu verschlingen.« Erneut bekreuzigte sie sich. »Der Mörder blieb verschwunden. Nur einen anderen Satanssohn griffen die kö-
    niglichen Bogenschützen bei der Jagd nach ihm auf.«
    Die Novizin brachte die Suppe und reichte sie der Nonne, die Wasserschale und Tuch auf einem wackligen Schemel deponierte, um mich mit einem groben Holzlöffel zu füttern. Wohlige Wärme breitete sich mit der lang entbehrten Nahrung in meinem Magen aus. Und mein Mund labte sich am Geschmack von Geflügelfleisch, Schweineschmalz, Erbsen und Milch, verfeinert mit Ei, Ingwer und Safran.
    Erst als ich den letzten Löffel der schmackhaften Cretonne verspeist hatte, fragte ich: »Wer ist dieser Satanssohn, den die Schützen festnah-men?«
    »Der Teufel von Notre-Dame, der Bucklige!« flüsterte sie mit weit aufgerissenen Augen und schlug, ich nahm es kaum noch wahr, erneut das Kreuz des Herrn.
    »Quasimodo«, murmelte ich und erinnerte mich des seltsamen nächtlichen Vorfalls, in den die schöne Zigeunerin, der Dichter Gringoire, Quasimodo und sein vermummter Begleiter verwickelt gewesen waren.
    »Ihr kennt ihn schon, obwohl Ihr neu seid in Paris?«
    Ich schalt mich einen Narren, hatte ich mich doch beinahe verraten.

    Schnell sagte ich: »Ich war im Justizpalast, als man den Glöckner zum Narrenpapst wählte.«
    »Eine Schande, ein Frevel!« schimpfte die Augustinerin. »Solch eine böse Kreatur zum Papst zu küren, und sei’s auch nur zu dem der Narren, ist eine Verhöhnung unseres Heiligen Vaters in Rom. Dieser Quasimodo ist von bösen Geistern besessen. Er hat es bewiesen, als er gestern abend versuchte, ein Mädchen zu entführen. Ich mag gar nicht daran denken, für welch grausiges, schändliches Ritual er sein Opfer benötigte.«
    Ihre zerfurchte Stirn und ihre glänzenden, ins Leere blickenden Augen verrieten, daß die Nonne gründlich darüber nachdachte.
    »Woher wisst Ihr eigentlich, daß dieser Quasimodo ein Sohn des Teufels ist, ehrwürdige Schwester?«
    »Na, schaut ihn Euch doch an!« antwortete sie im Brustton der Überzeugung. »Seine Wildheit und seine übermenschliche Kraft sprechen für sich. Ihr solltet einmal sehen, wie Quasimodo an der Fassade der Kathedrale entlangklettert, als sei die Kirche ein Baum und er ein Affe im Geäst. Wie er mit den großen Glocken spielt, als seien sie Kätzchen.
    Und man hat ihn schon an mehreren Stellen Notre-Dames gesehen, zur gleichen Zeit!«
    »Das ist in der Tat ein Beweis«, sagte ich lahm, wider besseres Wissen; der vergangene Abend hatte mir gezeigt, wie leicht eine falsche Anschuldigung zur scheinbaren Wahrheit geraten konnte. »Wenn dieser Quasimodo solch ein teuflischer Geselle ist, weshalb duldet man ihn gleichwohl in Notre-Dame?«
    »Weil er der Vertraute des Archidiakons ist«, antwortete die Schwester mit gemäßigter Stimme und unstetem Seitenblick, als fürchte sie, man könne sie belauschen.
    Jetzt hatte ich also eine dritte Variante. Laut Jehan Frollo war Quasimodo der Bruder, laut Pierre Gringoire der Sohn und nach den Worten der Augustinerin der Vertraute des Archidiakons. Verwirrt blickte ich die Nonne an. »Wie kann ein halbes Tier der Vertraute eines hohen, gebildeten Klerikers sein?«
    »Dann nennt Quasimodo den Diener Frollos, seinen folgsamen Hund, es bleibt sich gleich. Ihr könntet Dom Claude Frollo sogar als Quasimodos Vater bezeichnen. Unser Archidiakon hat keine Gemahlin, aber er zog gleich zwei Söhne groß.«
    »Wie kann das angehen?«
    »Claude Frollo war noch

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