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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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geschehen kann, werden Recht und Gesetz ebenso verleugnet wie das Wort des Herrn.«
    »Amen«, meinte Joannes Frollo. »Da Ihr das Wesentliche nun gesagt habt, teurer Bruder, könnten wir uns vielleicht noch einmal über meine finanziellen Nöte unterhalten.«
    »Schämt Euch, angesichts des Toten nur an Euer Geld zu denken!«
    zischte der ältere Bruder.
    »Mein Geld?« Die Augen des Jüngeren leuchteten auf. »Also gebt Ihr es mir?«
    »Lasst uns woanders darüber sprechen, Jehan. Dieser Ort soll nicht noch mehr entweiht werden.«
    Sie stiegen die Treppe hinab.
    Falcone entließ auch Gontier, der bestimmt von den Kanonikern und Mesnern unten ausgequetscht werden würde.
    »Mich braucht Ihr sicher auch nicht mehr, Leutnant Falcone?« fragte ich zaghaft.
    »O doch!«
    »Aber Ihr sagtet doch, Ihr haltet mich für unschuldig.«
    »Wer ist schon unschuldig, die Muttergottes einmal ausgenommen?
    Irgendwie seid Ihr in die Sache verwickelt. Erst wird Schwester Victoire die Kehle durchgeschnitten, kurz nachdem sie mit Euch gesprochen hat, und nun haben wir bei diesem armen Tropf das gleiche.«

    »Aber ich weiß nichts.«
    »Vielleicht wisst Ihr etwas, ohne es zu wissen. Wir sollten uns in Ruhe unterhalten, am besten bei einem Glas Wein. Das haben wir beide uns wohl verdient. Was haltet Ihr davon, Monsieur Sauveur?«
    Ich konnte die Einladung nicht ausschlagen, ohne mich verdächtig zu machen.
    Falcone trug dem Sergeanten auf, den Leichnam fortzuschaffen. Bevor er mit mir die Treppe hinabstieg, nahm er die zusammengefaltete Spielkarte aus Odons Mund und murmelte: »Hindernis, Verräter, Anfang und Ende.«

Kapitel 5
    Bei der Dicken Margot
    Obschon Leutnant Falcone mich vom Mordverdacht freigespro-chen hatte, wirkten die in der Kathedrale versammelten Kanoniker und Mesner keineswegs besänftigt. Ich war froh, ihren stieren-den Blicken zu entkommen, und folgte Falcone auf den Vorplatz, wo er sich nach rechts wandte. Dicht an den Mauern des Klosters entlang führte unser Weg in Gassen, die kaum übersichtlicher waren als jene, durch die ich Gilles Godin und dem Bettler Colin gefolgt war. Erleuchtete Schenken, Gegröle und Gelächter, Mädchen und Frauen jeden Alters – trotz des kühlen Abends eher leicht und an den anstößigen Stellen oft gar nicht bekleidet – bestimmten das Bild. Die lockeren Weiber reckten uns ihre hochgeschnürten Brüste, ihre drallen Schenkel und Ärsche entgegen und versuchten, uns mit Zurufen zu locken, die mich angesichts der Nähe von Kloster und Kathedrale nicht nur schamlos, sondern geradezu gotteslästerlich dünkten. – Damals hatte ich noch nicht begriffen, daß Gotteshäuser und Gottesmänner ungeachtet ihrer Bezeichnung nur mit der Kirche verbunden sind und nicht mit Gott.
    Falcone blieb vor einem großen Schankhaus stehen, dessen Namen ich auf dem windschiefen, verwitterten Schild nur mit einiger Mühe entziffern konnte: ›Bei der Dicken Margot‹ Neben der verblassten Schrift zeigte eine nicht minder ausgeblichene Malerei das Gesicht und die Brust einer enorm drallen Frau, zwischen deren fleischigen Hü-
    geln – Gebirge sollte ich besser sagen – ein üppiger und gewiß einstmals bunter Blumenstrauß entspross. Vertrau nur einem guten Schild, sagt man. Dieses hier wirkte alles andere als vertrauenerweckend.
    »Wir sind am Ziel«, erklärte Falcone zufrieden. »Gut, inzwischen habe ich einen gewaltigen Appetit. Geht es Euch ebenso, Monsieur?«
    Skeptisch musterte ich das alte Gemäuer, hinter dessen blinden, löchrigen Fensterscheiben aus Marienglas Lichter und Schatten tanzten, Rufe und Lieder ertönten.
    »Von außen nicht gerade einladend, da habt Ihr recht, Monsieur Sauveur. Die Dicke Margot hat ihre besten Jahre hinter sich, aber der wahre Kenner läßt sich von der Erfahrung des Alters lieber verwöhnen als vom vergänglichen Glanz der Jugend.«
    »Auch der Name verheißt nichts Besonderes. Jede zweifelhafte Schenke in Frankreich wird so gerufen.«
    Falcone nickte eifrig. »Gewiß, aber die hier ist die echte.«
    »Wie meint Ihr das?«
    »Wisst Ihr nicht, daß der Name durch eine von Villons Balladen Be-kanntheit erlangt hat? Nun, dies hier ist das Vorbild für die anrüchige Dichtung des nicht minder anrüchigen Dichters. Und jetzt tretet endlich ein, bevor wir hier draußen festwachsen!«
    Als Falcone die Tür aufstieß, schlugen uns dicke, warme Schwaden entgegen, wie sie sich von der kühlen Abendluft draußen nicht deutlicher hätten abheben können. Ich hätte den Dolch

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