Im Schatten von Notre Dame
das im flackernden Kerzenschein immer wieder zerfloss und neu entstand. Metallisch schimmernd, mal wie Kupfer, dann wie Gold, warf es das Kerzenlicht zurück. Aus Silber schien der lange Bart zu bestehen, und in den Augenhöhlen saßen Smaragde, die das Kerzenlicht wie grüne Flammen reflektierten.
Mit gesenkten Häuptern waren die Neun vor dem Maskierten auf die Knie gesunken. »Verzeiht mir und segnet mich. Bittet Gott, daß er mich zu einem guten Ende führe und vor einem schlechten Tod bewahre.« Andächtig sprach Frollo die Worte, die Godin auf dem Platz vor Notre-Dame zu ihm gesagt hatte, und die acht übrigen aus dem Kreis wiederholten sie im Chor.
Der Maskierte legte erst Frollo und dann allen anderen die Hand aufs Haupt und sagte jedes Mal mit einer Stimme, die hinter der Maske dumpf, hohl und unmenschlich klang: »Gott segne Euch. Er füh-re Euch zu einem guten Ende und bewahre Euch vor einem schlechten Tod.«
Alle zusammen beteten sie das Vaterunser, woraufhin Claude Frollo zu dem Maskierten aufsah und sagte: »Templum omnium hominum pacis abbas.« (Der Tempel aller Menschen ist der Vater des Friedens.) Der Mann mit dem Metallgesicht nickte und bedeutete den anderen, sich zu erheben. Er mußte der Großmeister sein, von dem Frollo und Godin gesprochen hatten. Sein Abakusstab war das Würdezeichen des Meisters aller Baumeister sowie des Großmeisters des Templerordens.
Irgendwo hatte ich darüber gelesen. Wenn man sich sein Leben lang mit Büchern beschäftigt, zahlt es sich irgendwann aus, so man nicht zuvor verhungert.
Der Maskierte hatte also das Treffen einberufen. Den Grund hoffte ich zu erfahren, als er zu den anderen sprach. »Beunruhigende Nachrichten dringen an meine Ohren. Scharen von Ägyptern treiben sich in Paris herum, viel mehr als zur Zeit der Engländer. Und dann sollen die Muschelbrüder wieder am Werk sein. Ich wittere Gefahr!«
Dom Frollo sah ihn mit festem Blick an. »Die Gefahr ist vorhanden, Vater des Erkennens, aber unser Bund ist stärker. Die Überreste der Coquille sind immer wieder einmal in Erscheinung getreten, ohne daß es eine tiefere Bedeutung gehabt hätte. Sie versuchen, durch ihre alten Verbindungen Kronen und Sols zu scheffeln.«
»Ein Zufall also?«
»Ich vermute es, weiser Vater.«
»Die Ägypter auch?«
Frollo zog die Mundwinkel nach unten. »Das zu hoffen hieße, sich selbst zum Narren zu halten. Ich fürchte, der Herzog von Ägypten verfolgt gezielte Pläne.«
»Die sich mit den unseren kreuzen?«
»Ja.«
»Was unternehmt Ihr dagegen?«
»Ich werde beim Bischof dafür eintreten, daß die Rechte der Ägypter beschnitten werden und daß sie sich von Notre-Dame fernzuhal-ten haben.«
»Am besten wäre es, sie würden ganz aus Paris vertrieben.«
»Dazu müßte man einen triftigen Anlass finden.«
»Wenn Ihr keinen finden könnt, Bruder Frollo, dann erfindet einen!«
Frollo wollte etwas erwidern, doch schon fuhr der Maskierte fort: »Und kümmert Euch auch um die Coquille. Wenn Zufälle sich häufen, verbirgt sich hinter ihnen mehr. Man hört in den Gassen von Paris häufig wieder Villons Lieder.«
»Villon ist tot.« Der Archidiakon klang trotzig.
»Ihr solltet wissen, daß der Tod der Anfang ist, nicht das Ende, Frollo. Und Ihr solltet wissen, wer Villon war. Sein Name allein genügt, um Kräfte zu wecken, die uns sehr wohl gefährlich werden können. Ich hörte von Spionen, die sich in Notre-Dame herumtreiben.«
»Das ist nicht sicher. Es gab ein paar lose Zungen, ja, aber jetzt schweigen sie für immer. Zudem haben auch wir unsere Spione. Falls die Ge-genseite zu ungewohnter Macht erstarkt, werden wir es rechtzeitig erfahren.«
»Ich hoffe es sehr, Bruder Frollo, auch für Euer Seelenheil. Zähltet Ihr diesen Zölestineroblaten auch zu den losen Zungen?«
»Er hat herumgeschnüffelt. Aber bevor er etwas entdecken konnte, hat Bruder Godin ihn von seiner bösen Leibhaftigkeit befreit.«
»Aber wer hat den Zölestiner beauftragt?« fragte der Maskierte mit anschwellender Stimme und stampfte mit seinem Stab auf, als er keine Antwort erhielt. »Ihr gebt vor, durch keine Gefahr bedroht zu sein, und doch habt Ihr mehr Fragen als Antworten aufzuweisen. Was ist mit Marc Cenaine, hat er wenigstens geredet?«
Charmolue senkte sein ergrautes Haupt wie aus Furcht vor einem strafenden Hieb, als er antwortete: »Nein, ehrwürdiger Großmeister.
Selbst unter schwerster Folter blieb er stumm. Wäre seine Tochter uns nicht entwischt, hätten wir ein
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