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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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vermei-den. »Aber warum wollt Ihr ausgerechnet mich in das Geheimnis ein-weihen?«
    »Weil Ihr vielleicht der Schlüssel seid, Armand Sauveur«, antwortete der Geistermönch vieldeutig. »Dazu müßt Ihr verstehen, daß nicht alle Guten Menschen gute Menschen sind.«
    »Wollt Ihr mir Rätsel aufgeben?«
    »Ich will Rätsel lösen, mit Eurer Hilfe. Doch müßt Ihr begreifen, worum es geht!«

    Ich bereitete mich auf einen langen Vortrag vor, nahm deshalb noch Käse, Brot und Wein und sagte: »Erzählt mir von Eurem Geheimnis.
    Ihr habt recht, ich sollte wohl wissen, weshalb die Menschen um mich her sterben, als ginge der Schwarze Tod um.«
    »Ihr sagtet, unser Glaube spreche Gott die Schöpfung der Welt ab. Das stimmt nur zum Teil. Es hängt davon ab, welchen Gott Ihr meint.«
    »Gibt’s denn mehrere?« fragte ich, unsicher, ob ich angesichts des offenen Frevels erheitert oder erschrocken sein sollte.

»Einen guten und einen bösen, was ausreicht, die Welt ins Chaos zu stürzen. Der gute Gott, der liebe Gott, den ihr angeblichen Christen anbetet, ist in Wahrheit der böse, ist Luzifer, ist Satan, der Erschaffer dieser Welt. Er schuf die Erde, auf der wir stehen, das Fleisch, das unsere Seelen umhüllt.«
    »Ein bemerkenswerter Gedanke«, meinte ich. »Aber warum tat er das?«
    Obwohl ich seine Augen nicht sehen konnte, war mir, als starre der Geistermönch mich durchdringend an. »Braucht das Böse denn einen Grund? Findet es seine Erfüllung nicht in sich selbst, ebenso wie das Gute?«
    »Dann will ich die Frage anders stellen: Woher kam das Böse? Ihr sprecht von Luzifer, den Ihr mit Satan gleichsetzt. Gilt er nicht als gefallener Engel?«
    »Als gefallener Engel, als Herr des Bösen. Und bedenkt, daß Luzifer ›Lichtbringer‹ heißt und daß der Weltenschöpfer in der Genesis spricht: ›Es werde Licht!‹«
    »Fahrt fort!« sagte ich und vergaß das Kauen. Vielleicht entsprang seine Geschichte dem Wahnsinn, vielleicht war sie eine ausgeklügelte Lüge, aber sie zog mich in ihren Bann.
    »Luzifer herrschte an Gottes Seite über die Welt des Guten, wo die Seelen ohne das Fleisch und seine unweigerliche Sündhaftigkeit sind.
    Er war der Erste der Engel, nach Meinung einiger Gelehrter gar Gottes Sohn. Aber er ließ sich verführen von den scheinbaren Genüssen des Fleischlichen und schuf sich eine Welt jenseits der geistigen Reinheit, eine Welt des Stofflichen. Er bevölkerte sie mit fleischlichen Hüllen, und in diese sperrte er die Seelen anderer Engel, die er teils verführt, teils in der Unordnung des Kampfes einfach mit sich gerissen hatte. So entstanden wir Menschen.«
    »Was für einen Kampf meint Ihr?«
    »Den Kampf des Guten gegen das Böse, Gottes gegen seinen gefallenen Engel. Natürlich wollte Gott die anderen Engel zurückhalten, aber bei vielen kam er zu spät.«
    »Gott ist allmächtig!« protestierte ich.
    »Gott ist das Gute und allmächtig im Guten. Das Böse aber war ihm neu, und Luzifers Wandlung war ihm anfangs ein Rätsel. Als er verstand, war aus seinem Engel bereits sein Widersacher geworden, Satan, der Schöpfer der fleischlichen Welt, unserer Welt.«
    »Gott herrscht über den Kosmos. Wenn Satan sein ebenbürtiger Widersacher ist, weshalb gibt er sich mit einer einzigen Welt zufrieden?«
    »Im Himmel herrschte Luzifer an Gottes Seite und trug die Krone der Schöpfung, Luzifers Krone. Im Kampf konnte Gott ihm die Krone entreißen und somit die Macht, weitere Welten zu erschaffen. So hatte Luzifer sich nicht nur ein Reich geschaffen, sondern zugleich einen Kerker, in den er sich gesperrt hatte, wie er die Seelen der Engel in die fleischlichen Hüllen sperrte.«
    »Demzufolge ist nach Eurem Glauben alles Stoffliche Sünde.«
    »Das habt Ihr richtig erkannt, Armand. Unsere Körper sind sündhaft, unser Gold ist es und auch unsere Macht über andere, der Anspruch von Königen und Päpsten, über die Menschen zu herrschen. Denn einst waren wir al e Engel, Geschöpfe Gottes, eins dem anderen gleichgestel t.
    Natürlich gefal en diese Gedanken weder dem Papst noch dem König, deshalb setzten sie al es daran, uns zu verfolgen, uns auszulöschen und mit uns unseren Glauben, unsere für sie gefährliche Lehre. Sie handelten aus Hass, aus Entsetzen, aus der blanken Furcht, ihre Macht und damit al es zu verlieren, was ihnen bedeutsam ist. Deshalb überzogen die selbsternannten Ritter Christi unter ihrem gnadenlosen Anführer Simon de Montfort das occitanische Land mit Feuer und Blut. Im Jahre 1209

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