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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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wenig schlurfend; die Tür schob er mit einer fahrigen Geste hinter sich zu. Als habe ihn der Gottesdienst, der gotteslästerlich und damit wohl eher eine Teufels-messe gewesen war, erschöpft. Mit einem leisen Seufzen ließ er sich auf einen Stuhl mit schweren Armlehnen fallen, in einer Ecke des Zimmers, die im Schatten lag. Und zu einem Schatten verblasste seine Gestalt.
    »Setzt Euch nur, Armand Sauveur. Unsere Unterhaltung wird dauern, Ihr werdet eine Menge Fragen haben.«
    Er wies auf einen Hocker vor dem Kamin, im Licht. Mir wurde be-wußt, daß ich wie ein Kind in einer Ecke stand und den Verhüllten mit geweiteten Augen anstarrte, erwartungsvoll, gebannt, aber kaum furchtsam. Mit seinem Eintreten hatte sich meine Angst gelegt. Von ihm ging etwas seltsam Vertrautes aus, für das ich keine Erklärung hatte. Ich kannte ihn nicht, doch eins schien mir nun sicher: Unter der Kutte des Geistermönchs verbarg sich nicht Claude Frollo, der ernste, eisige, verschlagene Archidiakon.
    Umständlich setzte ich mich und sagte mit unsicherer Stimme: »Ihr habt recht, Monsieur, in meinem Kopf schwirren so viele Fragen umher, daß er zu platzen droht. Und doch weiß ich keinen rechten Anfang zu finden.« Noch immer stand ich im Bann des heute Erlebten, sah ich den Pfandleiher tot am Boden liegen, sein Haus in Flammen aufgehen, und unter mir drehte sich das verhängnisvolle Mühlrad. Vielleicht war das der Ansatzpunkt; ich zog die Geldkatze hervor und hielt sie hoch.
    »Dies zeigte ich Monsieur Ebrard, er sollte sich erinnern, sollte mich zu Euch führen. Deshalb mußte er sterben. Warum das alles?«
    »Es ist meine Schuld«, antwortete der Geistermönch beinahe tonlos.
    »Ich ließ die Börse auslösen, weil sie Euch gehörte und weil ich Euer Vertrauen gewinnen wollte. Aber es war ein böser Fehler, wie sich gezeigt hat. Ich hätte Euch das Geld auch so zukommen lassen können.«
    »Aber zu welchem Zweck? Ihr sandtet mich zu Claude Frollo, nach Notre-Dame, aber bestimmt nicht, um mir etwas Gutes zu tun!«
    Ein Klopfen an der Tür unterbrach das Gespräch. Es war Colette, noch immer in dem weiten dunklen Gewand, das sie wie eine Novizin des Geistermönchs erscheinen ließ. Sie brachte ein Tablett mit Rot-wein, Brot und Käse, stellte es wortlos auf den Tisch und verließ den Raum wieder. Zuvor warf sie mir einen langen Blick zu, als wäre ich ein guter Freund. Das verwirrte mich ebenso, wie ihre Schönheit mich einnahm.
    »Das weite Hemd verbirgt Colettes leibliche Reize, aber die Anmut ihres Antlitzes läßt vieles erahnen und alles erhoffen.« Die Worte des Geistermönchs überraschten mich, und ich sah ihn fragend an. »Keine Angst, ich bin gewiß nicht Euer Rivale«, fuhr er fort, begleitet von einem leisen Lachen, das in ein trockenes Husten überging. »Die Reize des Weibes sind den wahren Gläubigen ebenso untersagt wie der Genuss von Fleisch. Eigentlich sogar der von Käse und Wein, aber ich bin nun mal kein Vollkommener alter Schule.«
    Er füllte Wein in die beiden hölzernen Becher und schnitt sich mit einem großen Messer, das auf dem Tablett lag, ein Stück Käse ab. Der Anblick weckte meinen Hunger. Auch ich aß und spülte Käse und Roggenbrot mit dem fruchtig schmeckenden Wein hinunter. Währenddessen legte mein Gastgeber ein paar frische Scheite auf den verbogenen Feuerrost im Kamin. Deutlich sah ich im Lichtschein seine Hand, die mich an die Klaue eines Dämons erinnerte: knochig und runzlig wie verschrumpeltes Leder, von Narben übersät.
    »Warum ich Euch zu Dom Frol o sandte, wol tet Ihr wissen, Armand?
    Die Antwort liegt doch auf der Hand: Um für mich zu spionieren.«

    »Ein seltsamer Spion, der weder seinen Auftrag noch seinen Auftrag-geber kennt.«
    »Nur so konntet Ihr glaubwürdig sein, überzeugend, über jeden Verdacht erhaben. Ihr hattet tatsächlich bohrenden Hunger, wart abgerissen wie ein Bettler, suchtet verzweifelt Arbeit. Euch konnte, mußte sogar der misstrauische Archidiakon glauben.« Der Arm des Geistermönchs schoß vor, die narbige Klaue zeigte auf mich. »Deshalb wähl-te ich Euch aus.«
    »Vielen Dank«, sagte ich säuerlich. »Mehr als einmal hätte ich fast mein Leben eingebüßt bei einer Aufgabe, von der ich nicht einmal weiß, ob ich sie erfüllen möchte.«
    »Ich ließ Euch beobachten, um das Schlimmste zu verhüten.«
    Ich nickte. »Durch den Bettler Colin.«
    »Durch ihn und durch andere. Auch heute auf Eurem Weg zur Müllerbrücke waren schützende Schatten bei

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