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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Glauben handeln und uns für die Bösen halten.«
    »Hört sich nach einer ziemlich vertrackten Sache an.«
    »Vertrackt ist das Böse immer, sonst wäre es nicht so erfolgreich«, seufzte der Geistermönch. »Wie Luzifer die Engel im Himmel unter-wanderte, so tat Satan es auf Erden mit den Guten Menschen. Einige von uns konnte er verblenden und ihnen sogar eingeben, daß sie die Strenggläubigen seien. Sie leugneten, daß Satan-Luzifer ein Geschöpf Gottes sei, nannten ihn eine eigenständige Macht, so ursprünglich und mächtig wie Gott selbst.«
    Er sprach in einem düsteren Ton, doch ich verstand seinen Grimm nicht und sagte es ihm. Kichernd fügte ich hinzu: »Empfindet Ihr es als Gottesfrevel, Satan ihm gleichzustellen? Wohin soll das führen, wenn Ketzer einander schon gegenseitig der Ketzerei beschuldigen?«
    »Es ist Gottesfrevel, aber das Schlimmste ist, was die Dragowiten –
    wie sich die Vertreter dieses absoluten Dualismus nach ihrer thraki-schen Heimat Dragowitsa nennen – aus ihrer Lehre folgern. Wenn Satan eine eigenständige Gottheit ist und seine Welt unabhängig von der des guten Gottes geschaffen hat, stammen auch die Seelen der fleischlichen Wesen von Satan, nicht von Gott. Dann aber braucht die Seele nicht von Körper zu Körper zu wandern, um geläutert und eines Tages erlöst zu werden. Es kann für sie keine Wandlung zum Guten geben, die einzige Erlösung liegt in der Beendigung ihres Daseins. Leider gelang es dem verfluchten Niketas, ein gut Teil der Reinen mit diesem Irrglauben zu verunreinigen.«
    »Wer ist nun wieder Niketas?«
    »Er war der Katharerbischof von Konstantinopel, so mächtig, daß manche ihn Papst nannten. Anno 1167 wurde in der Burg von Saint-Félix-de-Caraman ein großes Konzil zur Neuordnung unserer Kirche abgehalten. Dazu erschienen Robert von Epernon, Bischof der französischen Kirche, Bischof Markus aus der Lombardei, Bernhard Ca-thala mit dem Rat von Carcassone, Sicard Cellerier, Bischof von Albi, der Rat von Agen und eben auch Niketas, der Satanssohn. Er festigte auf dem Konzil seinen Einfluß und brachte die Reinen dazu, Satan als gottgleiche Macht zu betrachten. Denn Satan war in ihn gefahren, und es gehörte zum teuflischen Plan, den Seelen auf ewig ihre Erlösung zu verweigern. Nun mußten die Satansjünger nur noch den Sonnenstein in ihre Gewalt bringen, um die Welt zu vernichten.«
    »Aber das ist doch ein Widerspruch!« warf ich ein. »Wenn diese Dragowiten oder Satansjünger Satan als eigenständiges Wesen ansehen, kann er nicht der gefallene Engel Luzifer sein. Dann aber kann es auch Luzifers Krone und den herausgebrochenen Stein nicht geben.«

    »Ihr argumentiert schon wie ein Wahrhaft Reiner«, stellte der Geistermönch mit offenkundiger Befriedigung fest; mehr noch, unerklärlicherweise glaubte ich in seiner Stimme einen Anflug von Stolz wahrzunehmen. »In der Tat, Armand, Euer Gedankengang ist richtig und entlarvt die Satansjünger. Doch die meisten der Dragowiten wissen nicht, daß sie dem Bösen dienen, und leider kennen sie auch den theo-logischen Diskurs zwischen dem absoluten und dem relativen Dualismus nur in Ansätzen. Zumeist sind es einfache Menschen, verführt und hörig. Dienstbare Geister des Satans, die uns Wahrhaft Reine be-kämpfen und nicht wissen, daß sie dadurch der Vernichtung ihres Seelenheils Vorschub leisten.«
    Mein Kopf dröhnte, und ich fragte mich, wer dem Wahnsinn mehr anheim gefallen war: mein Gegenüber mit seinem wirren Gerede von Satan und dem Ende der Welt oder ich, der ich mich ernsthaft damit auseinanderzusetzen begann? Bestürzung erfasste mich. War es so leicht, zum Ketzer zu werden? Ich preßte die Hände gegen meine pochenden Schläfen, rieb sie, sog die modrige Luft ein und fand doch keinen Weg, den Irrsinn zu beenden, kein Argument, das die Reden des Geistermönchs ad absurdum geführt hätte. Der Kerl mochte wahnsinnig sein, aber der Wahnsinn besaß Methode.
    »Geht es Euch nicht gut, Armand? Wünscht Ihr eine Unterbrechung unseres Gesprächs, damit Ihr Euch ein wenig erholen könnt?« Ernsthafte Besorgnis schwang in seiner Stimme mit, aber auch das mochte zu seinem Plan gehören, mich für sich einzunehmen.
    »Nein, fahrt fort!« Ich goß mir noch etwas Wein ein. »Um so eher sind wir am Ende der Geschichte. Was geschah nach diesem Konzil von …«
    »Saint-Félix-de-Caraman heißt der Ort von Satans Triumph. Es fiel ihm leicht, denn er hatte viele Verbündete. Die Tempelritter standen auf der Seite der

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