Im Schattenwald
hinuntergeführt, während Vjpp unnötig hart ihren Arm festhielt. Sie gingen eine dunkle Treppe hinauf und traten hinaus in die kühle Nacht. Vier weiße Hengste und ein Wagen erwarteten sie bereits.
Auf dem Wagen befand sich ein großer Käfig, in dem bereits die Schneehexe, der Tomtegubb und der doppelköpfige Troll hockten, als Martha zu ihnen hineingestoßen wurde.
Einer der Wärter - seinem runzligen Gesicht und dem schartigen Schwanz nach zu urteilen wohl der Älteste - erklomm den hölzernen Bock am Kopf des Wagens. Er schwang seine lange Peitsche, worauf sich die Pferde in Bewegung setzten.
Die übrigen Huldren marschierten zu beiden Seiten des Wagens und drohten den Gefangenen mit ihren Fackeln, wenn sie den Gitterstäben zu nahe kamen.
»Oggup flimp!«, riefen sie immer wieder. »Oggup flimp! Oggup flimp!«
Martha saß mit gekreuzten Beinen in der Mitte des Käfigs. Der Tomtegubb saß ihr am nächsten und summte fröhliche Melodien.
Die Schneehexe hatte sich ganz vorne im Käfig niedergelassen, in größtmöglicher Entfernung zu den anderen. Eine sanfte Brise wehte ihr die Haare ins Gesicht, doch machte sie keinerlei Anstalten, sie wieder zurückzustreichen.
Marthas Blick wanderte an ihr und dem Kutscher vorbei und richtete sich auf die Rücken der Pferde. Im Schein der Fackeln konnte sie die zahlreichen Striemen erkennen und zuckte jedes Mal zusammen, wenn sie einen Peitschenknall hörte.
Hinter ihr unterhielten sich die beiden Trollköpfe zur Abwechslung in gedämpftem Ton miteinander.
»Hast du Angst?«, fragte der linke Troll.
»Ja«, antwortete der rechte Troll. »Angst wie ein Hase.«
»Ich auch«, sagte der linke Troll und schien fast überrascht von seinen eigenen Worten. »Ich auch.«
Martha schloss die Augen und stellte sich vor, in den Armen ihrer Mutter zu liegen. Sie erinnerte sich an ihre Wärme. Ihren Geruch. Den sanften Kuss, den sie ihr stets direkt auf den Kopf gegeben hatte.
Sie konnte ihn immer noch spüren.
Die Liebe ihrer Mutter übertrug sich auf sie, und es bedurfte viel mehr als eines stürzenden Baumstamms, um sie zu zerstören. Die Liebe zahlloser Umarmungen umhüllte sie wie eine warme Decke und versicherte ihr, dass alles gut werden würde. Dass Liebe selbst die unerbittlichsten Momente des Lebens überdauerte.
Ein Platz zum Ausruhen
I m Wald brach die Nacht schnell herein, oder vielmehr: sie stieg auf.
Während Samuel und Ibsen den Abhang hinuntergingen, schienen sie gleichsam in einen See einzutauchen, als würden sie in der Nacht ertrinken. Und mit der Dunkelheit kam die Angst.
War der Wald am Tag schon unheimlich gewesen, so konnte man bei Dunkelheit in nackte Panik ausbrechen. Jedes Knacken eines Zweiges und jeder Schrei einer Eule ließen Samuel zusammenzucken und angstvoll nach herannahenden Trollen oder anderen gefährlichen Kreaturen Ausschau halten. Jeder Baum, der plötzlich aus dem Dunkel auftauchte, schien ihn erschrecken zu wollen. Selbst dem Dreiviertelmond schien der Atem zu stocken beim Anblick des Jungen und des Hundes, die sich im Dunkeln an einem so gefahrvollen Ort herumtrieben.
Bei Tageslicht hätte Samuel erkennen können, welche Wesen einen Schatten hatten und welche nicht. Doch jetzt, im Dunkeln, war es völlig unmöglich, die harmlosen von den gefährlichen zu unterscheiden.
Er schaute zu Boden und erblickte Fußabdrücke mit drei Zehen. Trolle . Während er seinen Weg fortsetzte, versuchte er, nicht zu sehr daran zu denken, was passieren konnte, wenn er wirklich einem Troll begegnete. Schließlich behauptete
das Buch, sie hätten keine Schwäche, und darin hatte es vermutlich Recht - so wie es auch beim Wahrheits-Pixie und all den anderen Geschöpfen Recht gehabt hatte.
(Aber natürlich soll man nicht alles glauben, was in Büchern steht.)
Glücklicherweise hatte Samuel mit seiner Entscheidung, den Hügel hinunterzugehen, den richtigen Instinkt bewiesen. Sie kamen an einen breiten Weg, in dessen Erde sich Wagenspuren eingeprägt hatten. Samuel war sich ganz sicher, dass es derselbe Weg war, von dem der Wahrheits-Pixie erzählt hatte. Der Weg, der zum Veränderer führte.
»So, da sind wir«, meinte Samuel, der das Gefühl hatte, irgendetwas sagen zu müssen. »Hier ist der Weg.«
Als er auf ihm einbog, bemerkte er, dass Ibsen sehr müde geworden war. Der Hund schien beim Gehen förmlich einzuschlafen. Sein Schwanz schleifte auf dem Boden, seine Zunge hing ihm seitlich aus dem Maul wie ein Stück Schinken und seine Pfoten
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