Im Schattenwald
Hals tropfte. »Aber du wolltest ja nicht auf mich hören.«
»Kannst du nicht endlich mit dem Gezeter aufhören? Nur für einen Moment? Wenn du das Sagen hättest, wären wir längst zu Stein geworden.«
»Wenn ich das Sagen hätte, wären wir gar nicht erst eingesperrt worden. Warum ausgerechnet ich? Warum haben sie mir den Kopf abgeschlagen? Das ist es, was ich nicht verstehe. Wo ist da die Gerechtigkeit? Schließlich war es nicht meine Idee zu fliehen. Und die Axt hätte ich auch nicht in die Hand genommen.«
»Es hätte alles noch viel schlimmer kommen können«, beschwichtigte der linke Troll.
»Noch schlimmer? Ich hör wohl nicht richtig! Was könnte denn schlimmer sein, als bis ans Ende seiner Tage von einem hässlichen, stinkenden Vollidioten durch die Gegend getragen zu werden?«
Als Samuel schläfrig die Augen aufschlug, sah er, wie der linke Troll in die Hocke ging, den Kopf des rechten Trolls in den Schnee legte und seinen Weg nach Trollhelm allein fortsetzte.
»Hey, hey!«, schrie der rechte Troll. »Was soll denn das? Du kannst mich doch hier nicht liegen lassen! Komm zurück! Ich … ich hab’s nicht so gemeint … es tut mit leid … komm zurück!«
Grentuls Belohnung
G rentul hatte sein Pferd gerade noch zur rechten Zeit zwischen die Bäume gelenkt. Er wartete im Schatten und sah, wie Vjpp sich in ein Skelett verwandelte, das klappernd zu Boden fiel.
Verzweifelt schaute er sich um. Wo mochte nur die nächste Caloosh-Grube sein? Wenn er noch länger an der Oberfläche blieb - selbst im Schatten -, würde er sterben. Das Licht sickerte durch das Blätterdach und verlieh dem Wald die furchtbaren Farben des Tages.
Er spürte das Licht auf sich lasten, so wie ein Ertrinkender das ganze Gewicht des Meeres spürte.
Dann sah er ihn. Einen vertrauten sandigen Kreis, der eine Caloosh-Falle sein musste. Er stieg vom Pferd und rannte ihm entgegen, hinaus aus dem schützenden Dunkel, hinein ins Sonnenlicht, das sein graues Blut verbrannte und seinen Körper jederzeit auflösen konnte.
Er erreichte den Kreis im letzten Moment, fiel in die Tiefe, landete auf Federn, rief nach Hilfe.
Die ließ nicht lange auf sich warten. Die anderen Huldren wollten wissen, was passiert war. Ihre Fragen zerrten an seinem Kopf wie hungrige Wölfe. Er antwortete nicht, sondern lief einfach los, rannte durch die unterirdischen Tunnel, immer in eine Richtung.
Nach Norden.
Schließlich wurden die Tunnel enger, verwahrloster. Die Gänge, die er jetzt betrat, wurden fast nie benutzt. Sie stellten eine Verbindung zum Veränderer dar, die nur in den allergrößten Notfällen benutzt werden durfte. Normalerweise wollte der Veränderer, dass sie über der Erde, im Schutze der Nacht, zu ihm kamen, damit er den Wald entlang dieser Route kontrollieren konnte.
Doch wenn es je einen Notfall gegeben hatte, dann war es dieser hier. Huldrenwärter waren getötet worden. Gefangene waren entkommen. Zwei Menschen liefen frei durch den Wald.
Er rannte weiter durch die unbeleuchteten, unbevölkerten Gänge, bis er sein Ziel erreicht hatte und sich direkt unter dem Baum der Stille befand. Er tastete nach der Leiter und kletterte hinauf. Nach ungefähr zwanzig Schritten trat er durch eine entriegelte Tür und stand plötzlich im dunkelsten Zimmer des Baum-Palastes.
Er läutete eine Glocke und wartete. Kurz darauf betrat Professor Tanglewood den fensterlosen Raum. Er war schlechter Laune, weil es der Vorabend seines Geburtstags war, für den sich niemand interessierte.
»Schattenhexe!«, rief er, nachdem er den Huldren im Kerzenlicht hatte stehen sehen.
»Hier bin ich, Meister!« Die Hexe kam aus ihrem Zimmer. Dunkle Schwaden dampften aus ihrem Mund.
»Enna klemp oder flimp tee Jangoborff«, sagte Grentul nervös.
Die Schattenhexe schloss die Augen und murmelte ihren üblichen Übersetzungszauber. Der Huldre wiederholte seine Worte und wurde diesmal verstanden.
»Ich habe Neuigkeiten für den Veränderer. Von den Gefangenen.«
»Schlechte Nachrichten?«
»Ja … schlechte Nachrichten.«
»Sprich!«
»Wir gerieten in einen Schneesturm. Unser Wagen blieb stecken …«
Die Schattenhexe schien besorgt. »Ein Schneesturm, wie ist das …?«
»Schweig!«, schnitt ihr der Veränderer das Wort ab. »Sprich weiter, Grentul.«
»Der Wagen blieb also stecken … und …«
Grentuls Rede stockte ebenso, wie die Räder im Schnee gestockt hatten.
»Weiter«, sagte der Professor.
»… und da haben wir beobachtet, wie die Schneehexe etwas
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