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Im Schattenwald

Im Schattenwald

Titel: Im Schattenwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Haig
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vor sich hin murmelte. Ein Gebet. Oder einen Fluch. Zunächst wussten wir nicht, wie wir reagieren sollten, aber dann haben wir die Käfigtür geöffnet … Wir haben versucht, die Schneehexe aufzuhalten… ihre Magie … Das war der Moment, als die Gefangenen fliehen konnten und fünf von uns getötet haben.«
    Die Schattenhexe schien irritiert. »Meine Schwester? Was hat sie dort gemacht?«
    »Ruhe!«, rief der Professor.
    »Du wolltest mich verleiten, meine eigene Schwester zu töten«, sagte die Schattenhexe leise, als diese Erkenntnis in ihr aufstieg.
    Der Professor wischte ihre Worte beiseite. »Schweig, Hexe!«
    Er wandte sich wieder dem Huldren zu. »Wer? Wer ist entkommen?«, fragte der Professor. Seine Stimme war ruhig.
    Zu ruhig.
    »Die Gefangenen … ein Tomtegubb, ein doppelköpfiger Troll und ein Mädchen.«

    »Ein Mädchen? Was für ein Mädchen?«
    Der Huldre verzog das Gesicht wie unter Schmerzen. Doch warum sollte er sich Sorgen machen? Sein Meister würde ihm seine Ehrlichkeit entgelten. Sicher würde er jetzt das Maß seiner Ergebenheit begreifen.
    »Das Mädchen, das gestern in ein Loch gefallen ist.«
    »Gestern? Sind noch andere Menschen hier?«
    »Ja, ein Junge.«
    »Ein Junge?« Der Professor warf der Schattenhexe einen Blick zu, der eine Antwort zu verlangen schien. Die Schattenhexe schwieg. Ihr Bewusstsein war an einem anderen Ort, verloren im Schneesturm.
    »Ja«, antwortete Grentul.
    »War er auch im Käfig? Ist er entkommen?«
    »Nein, wir … sind an ihm vorbeigefahren. Da haben wir ihn entdeckt. Wir haben sofort die Verfolgung aufgenommen, doch leider ist er uns entkommen.«
    »Entkommen? Zwei Menschen, die frei im Wald herumlaufen. Sind das die Nachrichten, die du mir überbringst?«
    »Ja, Meister.« Grentul gestattete sich ein kurzes, nervöses Lachen. Vermutlich würde ihn der Professor jetzt dafür belohnen, dass er so einen langen Weg im Untergrund auf sich genommen hatte, um diese Nachrichten zu überbringen.
    Die Schattenhexe wagte es, das Wort zu ergreifen: »Meine Schwester, die Schneehexe, ist sie auch entkommen?«
    »Nein«, antwortete Grentul stolz. »Sie ist tot.«
    Die Worte schienen die alte Hexe für einen Moment zu betäuben. Dann verdunkelten schwarze Tränen ihre Augen und fielen auf ihre Wangen. Der Professor, der weitere Fragen hatte, nahm davon nichts wahr.
    »Wo hast du die Menschen zuletzt gesehen?«
    »Das Mädchen ist mit dem Tomtegubb davongeritten. Auf der Ebene haben wir sie aus dem Blick verloren.«

    »Und der Junge?«
    »Ist Richtung Trollhelm gelaufen.«
    »Wohl gesprochen.«
    Grentul sah erleichtert aus. »Danke, Meister.«
    Professor Tanglewood betrachtete sein Spiegelbild. Sein Gesicht flackerte im Kerzenlicht.
    »Fast wohl genug gesprochen, um dich am Leben zu lassen.«
    »Aber ich dachte, Meister …«
    Der Professor wandte sich der Schattenhexe zu und sagte: »Bereite ihm ein Ende. Tu es jetzt. Es ist ein Befehl.«
    Die Schattenhexe zögerte, bevor sie ihm gehorchte. Sie dachte immer noch an ihre Schwester, als sie Grentul dunkle Schwaden ins Gesicht blies. Sie umgaben ihn wie eine Wolke und nahmen ihm die Luft.
    Der Professor lächelte und nahm ihn näher in Augenschein. »Wie du hustest, mein Freund. Zu wenig Sauerstoff, das ist das Problem. All die Jahre unter der Erde, in diesen Tunneln, ohne jedes Sonnenlicht … Aber du kannst dich daran erinnern, nicht wahr? Erinnerst dich an die goldenen Tage. Das warme Licht auf deinem Gesicht. Die glücklichen Zeiten, in denen du sahst, wie dein Schatten auf das Gras fiel. Als du die Sonne noch verehrt, nicht gefürchtet hast.«
    Die Worte schienen Grentul ebenso die Luft zu nehmen wie der Atem der Schattenhexe. Als die Worte in ihn eindrangen, erinnerte er sich an glückliche Momente, bevor die Schattenhexe ins Dorf gekommen war. Wie seine Mutter am Holzofen das Abendessen zubereitet hatte, der Tisch war für vier Personen gedeckt, dann nach draußen gegangen war und die beiden Raben erblickte, die sich neben dem Haus niedergelassen hatten.
    »Erinnerst du dich, Schattenhexe?«, fragte der Veränderer. »Die Schatten eilten zu dir wie fliehende Kinder.«

    Er war jetzt ganz nahe an den Huldren herangetreten und türmte sich über ihm auf. Das Wesen, das die Sonne fürchtete, kauerte zu seinen Füßen und sog würgend die dunklen Schwaden auf, die ihn wie Nebel umgaben.
    »Falls du dein Leben noch einmal leben solltest, Huldre, was ich stark bezweifle, so gebe ich dir hiermit einen Rat: Rette das Leben

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