Im Schlauchboot durch die Unterwelt
»Ich
glaube eher, die buddeln was aus.«
»Um das rauszukriegen«, meinte
Karl mit betrübter Miene, »müssen wir an ihnen dranbleiben. Schaffen wir aber
nicht mit unseren Bikes. Der Mercedes ist schneller. Und wer weiß, ob die jetzt
zum Campingplatz fahren.«
Tim grinste. »Keine Sorge!
Alles läuft bestens für uns. Wir haben eine Trumpfkarte. Dort liegt sie.«
Seine Freunde blickten umher.
»Wo?«, fragte Gaby. »Ich sehe
nichts.«
8. Mit Schwimmweste im Abwasserkanal
In ERWINS PANOPTIKUM war es
still — jetzt am späten Nachmittag. Das sonnige Schönwetter war grauen Wolken
gewichen. Ein melancholischer Himmel drückte auf die TKKG-Stadt. Eine frühe
Dämmerung mit dunstiger Dunkelheit stand bevor. Und so sah es auch in Matildes
Gemüt aus.
Die junge Frau spürte: Sie
konnte den Belastungen nichts mehr entgegensetzen. Die jahrelangen
Rücksichtslosigkeiten ihres Vaters. Ihre Behinderung. Das freudlose Leben.
Jetzt die Verstrickung in das Verbrechen. Und die Albträume mit dem Aborigine
als Peiniger. Das alles hatte ihr zugesetzt. Nun war sie dünnhäutiger denn je.
Die Nerven machten nicht mehr mit. Und von dem schlimmsten Druck — dem
ausgestopften Australier — musste sie sich befreien.
Im Museum herrschte Halbdunkel,
was die unheimliche Szenerie noch verstärkte. Der Gorilla, das Krokodil, die
Riesenschlange, die Wachsfiguren der Höhlenmenschen — sie alle wirkten echt,
schienen zu lauern, nur für den Moment erstarrt. Aber vor denen fürchtete
Matilde sich nicht. Sie konnte sie berühren, sich zu ihnen setzen ohne dass ihr
grauste. Nur den Aborigine empfand sie wie die personifizierte Bedrohung.
Er musste weg.
Ich gebe ihm seine Freiheit,
dachte Matilde — und begann mit der Vorbereitung.
Eine verrückte Idee von
Freiheit hatte sich in ihrer Vorstellung eingenistet. Der Aborigine sollte
schwimmen, sollte wie ein welkes Blatt symbolisch dem Wasser übergeben werden.
Wenn das Schicksal es mit der Mumie vorhatte, würde sie bis zum Meer treiben —
irgendeinem Meer — und dann ihren Weg nehmen. Wie eine Flaschenpost.
Matilde vermied genaue
Gedanken. Alles war symbolisch gemeint. Wie die Albträume. Denn die Mumie
konnte natürlich nie in Australien angespült werden. Zumal Matilde sie nicht in
einen Fluss werfen wollte — das wäre himmelschreiend auffällig geworden sondern
in die Kanalisation. In das Abwassersystem unter der Millionenstadt.
Matilde hatte keine genaue
Vorstellung davon, wohin die Kanäle führen. Aber das war dann ohnehin nicht
mehr ihr Ding. Sehr genau wusste sie indes, dass es einen Einstieg gab. Den
hatte sie gesehen. Einen Gully. Mit aufliegendem schwerem Eisendeckel.
Matilde war dort
vorbeigekommen, als Kanalarbeiter in den Gully stiegen. Eisensprossen führten
hinunter. Überwältigender Gestank drang herauf. Matilde hatte in die Tiefe
geblickt. Der Kanal unten war breit, war begehbar — die Arbeiter hatten ein
Schlauchboot benutzt. Die Brühe, die dort floss, war abscheulich. Aber eine
Mumie, tot seit 180 Jahren, würde sicherlich nicht zimperlich sein.
Damit der Aborigine nicht
gleich absoff, wollte ihn Matilde mit einer Schwimmweste ausstatten. Ein
Besucher hatte das Ding vor zwei Jahren an der Garderobe vergessen. Und Matilde
hatte die Schwimmweste seitdem unter ihrem Bett versteckt.
Dämmerung. Die junge Frau stand
auf dem Hof. Auf der Gasse waren Laternen. Aber deren Licht reichte nicht bis
hierher.
Matilde hatte einen Stein mit
Lappen umwickelt. Vorsichtig zerschlug sie die Scheibe des kleinsten Fensters.
Scherben fielen in das Panoptikum. Matilde stieg auf eine Kiste, langte hinein,
drehte den Fenstergriff und öffnete.
Das war der Einbrecher, dachte
sie. Er hat Geld gesucht, aber vorn an der Kasse nur wenig gefunden. Aus Wut
hat er den Aborigine mitgenommen. Auch eine Art von Vandalismus (Zerstörungswut). Hat man ja oft, wenn diese Psychos durchdrehen.
Das Baby schlief. Susi war zum
dritten Mal gefüttert worden. Matilde würde sie nachher für kurze Zeit allein
lassen. Das war möglich.
Im Hof stand ein Karren. Auf
dem wollte sie die Mumie transportieren, bedeckt natürlich mit einer Plane.
Der Gully war nur 300 Meter
entfernt. Die Gasse dorthin verlief zwischen Hofmauern. Das Kopfsteinpflaster
war alt und kaputt. Gesperrt für Kfz. Auch Radfahrer mieden die Gasse,
Passanten ohnehin. Es war eine finstere Gegend, die Gasse ohne Anlieger. Hier
grenzten nur Rückfronten an. Der Gully lag dort, wo die Gasse abknickte. Man
konnte von nirgendwo
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