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Im Schlauchboot durch die Unterwelt

Im Schlauchboot durch die Unterwelt

Titel: Im Schlauchboot durch die Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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hatte und die fünf Alten
aus den Türen quollen — zusammen mindestens 360 Lebensjahre.
    Tim lugte um die Mauerkante,
als das Quintett zum Spielplatz eilte.
    Otto Kräsch lief voran. Es war
jener, der am Rundlaufpilz den Sturz gebaut hatte.
    Dann wurde dort gesucht im
schwindenden Licht des Nachmittags. Tief gebückt gingen sie umher. Dieser oder
jener richtete sich auf und rieb sich das Kreuz. Otto kniete schließlich und
schien das Sägemehl umzugraben.
    Tim vernahm Flüche, aber nicht
genau. Die Entfernung war zu groß. Einmal klang es wie: »...diese verdammten
Kids!«
    »Sie haben uns im Verdacht«,
flüsterte Tim seinen Freunden zu. »Gleich werden sie im Gasthaus nach uns
suchen. Wenn sie schlau sind, fällt ihnen auf, dass vier Bikes auf dem
Parkplatz stehen. Aber — na ja, die können auch von anderen sein.«
    In diesem Moment klingelte
Karls Handy.
    Das Geräusch war nicht laut —
trotzdem! Einer der Oldies blickte her und Tim zuckte hinter die Mauerkante
zurück.
    Karl hatte das Klingeln bereits
abgestellt und war ein Stück weggestürmt, wo er sich — außer Hörweite der
Alt-Ganoven — leise meldete.
    Tim spähte vorsichtig. Nahten
die Oldies? Nein. Sie hatten aufgegeben und trotteten zurück. Und jener, der
das Klingeln gehört hatte, meinte wohl, er hätte sich getäuscht.
    Karl kam heran. »Deine Mutter,
Gaby!«
    Tims Freundin meldete sich.
    Als die Alt-Ganoven auf der
anderen Seite des Gasthauses verschwanden, pirschte Tim ihnen nach. Er sah, wie
sie ins Trainingslager gingen — wie erwartet — , aber schon nach kurzer Zeit
wieder herauskamen. Sie schlurften zum Parkplatz.
    Tim, gut verborgen, wartete,
bis der Mercedes abfuhr. Natürlich konnte Otto Kräsch hoffen, dass die
ehrlichen Finder seine Brieftasche beim Fundamt abliefern würden. Aber da viele
Tugenden unbequem werden und sich aus dem Bewusstsein der Menschen
verabschieden, war damit nicht zu rechnen.
    Tim winkte seinen Freunden,
dass die Luft rein sei.
    »Ich muss nach Hause«,
verkündete Gaby. »Ganz überraschend ist mein Onkel Alexander gekommen — aber
nur für einen Abend. Alex ist auf der Durchreise. Er fliegt weiter nach Moskau.
Aus geschäftlichen Gründen. Habe ich noch nicht von ihm erzählt? Er lebt schon
seit zehn Jahren in Chicago. Ist Wirtschaftsanwalt. Ich habe ihn erst einmal
gesehen. Papi mag ihn sehr.«
    »Für uns ist damit Schluss für
heute«, stellte Tim fest. »Alles Weitere morgen. Wird ohnehin Zeit, dass wir
zum Internat düsen. Der neue EvD (Erzieher vom Dienst) hat uns im
Visier.«
    Das galt natürlich nur für
Klößchen und den TKKG-Häuptling, die beiden Internatsschüler.

11. Verabredung am Gully
     
    Die Turmuhr der Pauluskirche
verkündete Mitternacht. Dumpfe Schläge hallten über das Stadtviertel, das hier
eng ist und alt. Der Himmel war schwarz. Keine Sterne. Und beim letzten
Glockenschlag klatschte der Aborigine auf das stinkige Abwasser.

    Matilde ließ die Leine los, an
der sie die Mumie hinabgelassen hatte. Hinab in einen dunklen Schacht, aus dem
Gestank aufstieg und brodelnde Finsternis. Sie, Matilde, konnte die obersten
Einstiegsprossen erkennen. Sonst nichts. Aber sie hörte das Geräusch.
    Ihr war schaurig zu Mute. Sie
horchte. In der Tiefe war ein gleichmäßiges Gluckern und Rauschen.
    Sie fühlte sich erleichtert.
Ich habe, dachte sie, ihm seine Freiheit gegeben. Himmel! Ist das ein Unsinn!
Kann ich mich wirklich von den Albträumen befreien, indem ich diese
ausgestopfte Hülle entsorge — diese Hülle, die vor mehr als 180 Jahren ein Mensch
war? Glaube ich das wirklich? Oder will mein Unterbewusstsein etwas ganz
anderes? Steht das, was ich hier mache, für... für... ja, wofür? Was ist
dahinter? Was geht in mir vor? Will ich mich auflehnen gegen meinen Vater? Ist
es Protest?
    Sie horchte noch einen Moment.
Dann schob sie mit großem Kraftaufwand den Deckel über den Gully.
    Mit dem Karren eilte sie zu
ihrem Zuhause zurück.
     
    *
     
    Der Abwasserkanal war breit,
ziemlich hoch und ausgemauert mit Backsteinen. Ein so genannter Hauptkanal. Die
Decke war gerundet. Auf beiden Seiten verliefen Rohre in beträchtlicher Höhe.
In regelmäßigen Abständen befanden sich
fensterartige Aussparungen sowohl rechts wie auch links. Hier mündeten die
Seitenkanäle, aus denen von Zeit zu Zeit Flutwellen herausschossen — der nicht
endende, flüssige Schmutz der Millionenstadt.
    Der Aborigine trieb langsam in
Richtung Hebewerk. Die Mumie begann bereits, sich voll zu saugen mit der
stinkigen

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