Im Schlauchboot durch die Unterwelt
erreichten sie den Gully.
Er war schon von Weitem zu erkennen, nämlich geöffnet. Tageslicht fiel herab
und bildete eine helle Insel auf der Brühe, die wirklich zum Übelwerden aussah.
Karl wandte den Blick ab und
sah eine Ratte an, die auf einem Mauervorsprung hockte. Die Ratte starrte
zurück. Mit ihren Vorderpfoten putzte sie sich die Barthaare.
Astrid stieg aus und kletterte
die Sprossen hinauf.
»Bin gleich wieder da.«
Klößchen hatte eine
Klettersprosse gepackt, hielt sich — und damit das ganze Boot — daran fest.
»Bin froh, wenn wir’s hinter
uns haben«, murmelte Karl.
»Ich auch. Ob sie die Pizza
oben isst? Oder bringt sie die mit?«
»Letzteres wäre abartig.«
»Willst du ein Stück Schoko?«
»Das kannst auch nur du
fragen!«
Ein dicker kalter Tropfen fiel
Klößchen ins Genick. Für einen Moment glaubte er, es sei eine Ratte. Das
reichte. Er schrie auf, ließ nicht nur die Sprosse los, sondern stieß sich
geradezu ab. Und schon trieb das Schlauchboot auf dem Hauptkanal weiter.
»Spinnst du?!«, rief Karl.
»War doch aus Versehen.«
»Und jetzt?« Karl leuchtete
voraus.
»Wir haben ja die Ruder.
Verdammt, wo sind die?«
In dieser Sekunde fiel der
Lichtkegel aus Karls Lampe auf die Gestalt im Wasser: Eine dunkle, nackte
Gestalt, die bäuchlings vor einem Hindernis dümpelte.
Der Schreck war unsagbar.
Gleichzeitig sahen beide den Körper. Beiden blieb der Atem weg.
Und langsam trieb das Boot
darauf zu.
»Die Ruder!«, flüsterte Karl.
»Wo sind die Ruder? Wir dürfen den nicht rammen. Klößchen, die Ruder! Sonst
müssen wir mit den Händen paddeln — in dieser Brühe.«
13. Matilde kommt zum Opa
Gaby trug ihren blauen
Regenponcho mit der großen Kapuze — Tim einen wasserdichten Windbreaker, der
aber gegen Kälte empfindlich war. Denn dann knarzte der synthetische Stoff wie
das schlimmere der beiden Kniegelenke eines 90-jährigen Marathonläufers.
Sie radelten. Um 12.55 Uhr
erreichten sie den Krautanger-Weg im Stadtteil Vorstetten: eine ruhige Straße
weitab von der Innenstadt. Kleine Grundstücke, Einfamilienhäuser, viele alte
Bäume. Hier kannte jeder seine Nachbarn und auch die Unarten der Kinder.
Otto Kräsch bewohnte das Haus
Nr. 46. Es stand straßennah und hatte auf dieser Seite winzige Fenster. Im
Hintergrund entdeckte Tim ziemlich viel Garten mit Büschen, Sträuchern und
Fichten, an denen wilder Wein hochkletterte. Vermutlich gab’s dort ‘ne
Terrasse.
Vor dem Grundstück stand der
weiße Mercedes mit der Nummer... CT333.
»Das ist doch der Wagen der
Camping-Ganoven«, sagte Gaby.
»Exakt. Ottos VW steht in der
offenen Garage.«
Die war auf der vorderen
rechten Ecke des Grundstücks errichtet worden: Ein Billig-Modell, das nicht zu
dem netten Häuschen passte. Vom geöffneten Schwenktor hing eine Strippe mit
Holzkugelgriff. Der VW war dunkelrot und ca. zehn Jahre alt.
Aus Prinzip prägte Tim sich das
Kennzeichen ein.
»Dann sind die vier anderen bei
Otto«, sagte er. »Und... Achtung! Die Haustür! Schnell vorbei.«
Das Pärchen spurtete ein Stück,
denn die Eingangstür wurde tatsächlich geöffnet. Und dass sich die Alt-Ganoven
an die Kids von gestern erinnern würden, war anzunehmen. Zumal bei einem so
hübschen Mädchen wie Gaby. Und auch Tim gehört nicht zu denen, die man
übersieht.
Hinter einem parkenden
Kleinlaster hielten sie an.
Otto — in Hauslatschen und
Hosenträgern — verabschiedete die Kumpane, alle vier. Die sahen anders aus als
gestern. Nicht mehr Mantel und Krawatte, sondern Stiefel, Jeans und Windjacke.
Der mit den Froschaugen trug einen nagelneuen Spaten, O-Bein trug eine
Schaufel, der mit dem Knautschgesicht hatte eine Spitzhacke geschultert. Alles
neue Geräte.
Offenbar war gute Laune
angesagt. Die Camping-Ganoven feixten. Otto blieb auf der Fußmatte. Rede flog
hin und her.
»Ja, ja, du drückst dich«, rief
O-Bein.
»Dabei täte es dir gut«,
wieherte Froschauge.
Das galt Otto. Der — nicht faul
— zeigte ihnen den Mittelfinger. Und rief hinterher: »Ihr seid ja nur neidisch,
weil mich gleich meine Enkelin besucht. Euch besucht höchstens der
Bewährungshelfer, hohoh.«
»Nix da!«, rief Nummer vier
zurück. »Wir haben uns bewährt. — Also, du kommst nach?«
»Ungefähr in ner Stunde.«
»Komm nur nicht zu früh — wir
könnten noch nicht fertig sein.«
»Haut endlich ab!«
Das taten die vier auch,
nachdem sie ihr Gerät im Kofferraum verstaut hatten.
Tim und Gaby wichen aus um den
Kleinlaster herum,
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