Im Schloss der schlafenden Vampire
etwas beschlagenen Nickelbrille war wie eine
Nachricht mit rotem Ausrufungszeichen.
„Pst!“, flüsterte er unnötig, denn
Teckenburg war längst außer Hör- und Sichtweite. „Wisst ihr, was das war?“
„Du wirst es uns sagen“, meinte
Klößchen. „Eine Geländekarte, wie?“
„Nein. Ein Gebäudeplan.“
Tim hob die Brauen. „Meinst du
Bauplan? Den Bauplan eines Architekten? Oder den Grundriss eines Gebäudes?“
„Ich glaube, da war beides
drauf. Eindeutig war’s eine Kopie vom Original. Ich konnte lesen, was es
darstellt. Nämlich das Schloss. Schloss Prinzenruh.“
„Das könnte sich Teckenburg
doch in natura ansehen“, wunderte sich Klößchen. „Aber vielleicht ist der Mann
Architekt und soll den Ostflügel erneuern, umbauen oder abreißen. Die
Handwerker sind ja zurzeit schwer zu Gange, auch wenn man nichts von ihnen
sieht.“
Tim schüttelte den Kopf. „Ein
Architekt war das nicht.“
„Ganz meine Meinung“, nickte
Karl. „Dazu passt nicht, was er uns erzählt hat. Außerdem laufen Architekten
nicht mit einem Riesenmesser herum. Und wenn er im Schloss was zu tun hat, dann
kommt er nicht mit dem Campingwagen.“ Tim überlegte. „Irgendwie seltsam.
Trotzdem sehe ich keinen Zusammenhang mit der Entführung der Heymwacht-Kinder.“
„Ich auch nicht“, griente
Klößchen. „Aber offenbar führen alle Wege zum Schloss. Unsere — wegen Gaby und
Julia. Gabys Weg wegen der schlafenden Vampire. Und Teckenburg interessiert
sich für das architektonische Innenleben.“
„Mir gefällt Teckenburg nicht“,
erklärte Tim. „Und nicht nur wegen seiner Neigung, Schlangen zu zerteilen.
Nein, der Mann hat eine üble Ausstrahlung — so einen Geruch von Zerstörung. Der
hat garantiert schon im Kindergarten seinesgleichen die Sandkuchen kaputt
gemacht. Vielleicht hat er ‘ne Firma, die alte Gebäude abreißt. Oder er
betreibt eine Schrottpresse. Eventuell sogar ein Krematorium. Muss alles sein.
Aber das und der Käsedolch rücken bei mir diesen Typ auf die schwarze Liste.
Wir werden ihn im Auge behalten. Falls er wirklich auf dem Campingplatz ankert,
können wir ihn durchs Fenster beobachten.“
Karl grinste. „Vielleicht reißt
er heute Nacht den anderen die Vorzelte ein.“
Tim blieb unerschütterlich. „Du
hast eben nicht meinen Instinkt, Karl. Für dich muss alles wie Mathematik sein,
damit du’s kapierst.“
„Mein Instinkt“, meinte
Klößchen und brachte mal wieder alles durcheinander, „endet bei einfacher
Algebra. Obwohl ich andererseits Chemie total aus dem Bauch heraus erfasse.
Denn auch in der Schokolade steckt Chemie.“ Damit zog er eine Halbpfundtafel
Vollmilch-Schoko aus der Tasche und schob sich die Wochenration eines
Normal-Naschers hinter die Zähne.
„Wir suchen weiter!“, verfügte
Tim.
Es gab noch vier abzweigende
Wege, die aber für Autos unpassierbar waren. Umgestürzte Bäume und
Steinbrocken, groß wie Internats-Nachtschränke, versperrten sie. Zudem dunkelte
es jetzt. Spurensuche unter den Bäumen war nicht mehr möglich.
Die Jungs sockten zum Dorf
zurück.
Am Waldrand, wo das Heymwacht-Grundstück
mit luftigem Maschenzaun endete, bemerkte Tim einen Mann. Er saß auf einer
Bank, äugte offenbar verträumt in die Abendsonne, die jetzt hinter den Horizont
sank, und hielt ein kleines Radio in der Hand.
Nein, kein Radio. Mit dem
zweiten Blick erkannte Tim ein Handy.
„Guckt mal, der Typ da!“ Tim
wies mit dem Kinn. „Sieht aus wie der Schlossverwalter.“
„Ist er aber nicht“, sagte
Karl.
„Könnte der Bruder sein“,
meinte Klößchen, „falls der einen hat. Jedenfalls der gleiche Quetschkopf.
Hoffentlich nehmen sie’s ihren Eltern nicht übel.“
„Kinder können nichts für ihre
Eltern“, sagte Tim. „Umgekehrt schon eher — was dann an der Erziehung liegt.
Aber nicht nur. Im Übrigen vererben sich Talente wie auch Untugenden nicht nur
von einer Generation auf die nächste, sondern tauchen auf aus grauer familiärer
Vorzeit — als Vermächtnis von Altvorderen, die man nicht mal mehr dem Namen
nach kennt. So ist dann in einer Sippe plötzlich eine Genie oder ein Killer —
und alle zeigen respektvoll oder empört mit dem Finger auf die Eltern.“
„Mag wohl sein“, nickte
Klößchen. „Aber mein Vater ist verfressen und ich bin’s auch. Von meiner
diätfreudigen Mama habe ich diesbezüglich überhaupt nichts geerbt.“
Sie gingen an der
Heymwacht-Villa vorbei. Vor den Garagen stand jetzt ein weinroter Audi, den Tim
sofort
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