Im Schloss des spanischen Grafen
mich um sie zu kümmern, als wäre sie meine leibliche Mutter. Ich habe Wort gehalten. Bis heute war mir nicht klar, dass es dir gegenüber unfair ist, wenn ich ihre Exzesse toleriere.“
„Warum ausgerechnet heute? Was ist denn passiert?“
„Hättest du mir gleich zu Anfang unserer Ehe gesagt, wie meine Stiefmutter dich behandelt, hätte ich sie schon damals aufgehalten. Du hättest ehrlich zu mir sein sollen“, sagte er vorwurfsvoll. „Es war dein Heim. Als meine Frau hättest du das Kommando über Schloss und Personal übernehmen müssen und …“
„Ich glaube, damals wäre ich gar nicht mit der Verantwortung fertiggeworden“, fiel Jemima ihm ins Wort. Aus einem unerfindlichen Grund wünschte sie, dass er sich deswegen keine Vorwürfe machen sollte.
Seine Miene war hart und verspannt. „Du hattest nicht einmal die Möglichkeit, es zu versuchen. Hätte Doña Hortencia dich nicht mit ihrer Boshaftigkeit eingeschüchtert, wie Beatriz mir sagte, wäre es dir gelungen. Du bist schließlich eine aufgeweckte junge Frau.“
„Beatriz hat Hortencia boshaft genannt?“ Jemima war mehr als überrascht. Beatriz hatte noch niemals irgendjemandem ein böses Wort nachgesagt!
Alejandro hatte den Wagen geparkt, und sie spazierten jetzt den Weg zum See hinunter, dessen sonnenbeschienene Oberfläche unten im Tal schillernd durch die silbergrauen Kronen der Olivenbäume aufblitzte.
„Das brauchte sie nicht. Der Ton und das, was meine Stiefmutter heute über dich sagte, reichten völlig aus, um mir klarzumachen, mit welcher Gehässigkeit ich es zu tun hatte. Daher bot sich nur ihr Auszug als einzige Lösung.“
„Bedauerst du es?“
„Kaum.“ Er lachte hart auf. „Sowohl Beatriz als auch mir blieb keine andere Wahl, als in ihr unsere Mutter zu sehen. Aber sie hat nie Mutterliebe für uns empfunden. Sobald es möglich war, hat sie uns ins Internat geschickt. Nach Marcos Geburt ließ sie mich ständig spüren, wie sehr es ihr aufstößt, dass ich der ältere Sohn bin. Sie hat immer alles getan, um den Kontakt zwischen mir und meinem Vater so schwierig wie möglich zu gestalten.“
„Dann warst du wohl großzügiger zu ihr, als sie es verdient hat“, entfuhr es Jemima unvermittelt.
„Ich kann mir nicht vergeben, dass ich nicht bemerkt habe, wie sie dich behandelt hat. Ich habe dich schließlich in dein neues Heim gebracht.“ Alejandro blieb stehen, nahm ihre Hände und schaute ihr in die Augen. „Ich hoffe, du schaffst es, das hinter dir zu lassen, und lernst, Land und Leute zu lieben, so wie ich es tue, querida.“
Er wollte also, dass sich die Dinge für sie zum Besseren wandten, und er hatte bereits einen ersten großen Schritt unternommen. Jemima schöpfte Hoffnung. Doch es waren seine ausdrucksstarken schönen Augen, die sie am stärksten anrührten. In ihnen lag der Wunsch, dass ihre Ehe beim zweiten Anlauf gelingen sollte. Und auch wenn dieser Wunsch vielleicht nur durch das gemeinsame Kind entstanden war, so beeindruckten sie seine Fürsorge und die Entschlossenheit, ihr ein zufriedenes Leben in Spanien zu ermöglichen, sehr.
Es war ein Anfang und auf jeden Fall mehr als damals nach ihrer Hochzeit …
Jemima, eine grazile Gestalt in einem smaragdgrünen Kostüm, dessen Farbe mit ihrem hellen Teint und dem rotgoldenen Haar noch intensiver wirkte, trat an das Rednerpult auf der Bühne. Ihr Herz hämmerte einen wilden Trommelwirbel, als sie ihre Notizen, in denen sie nachsehen konnte, falls sie ins Stocken geraten sollte, vor sich auf das Pult legte. Es war ihre erste öffentliche Rede. Sie hatte sie bewusst kurz gehalten und sich darin auf das Wesentliche konzentriert. Außerdem hatte sie sie zusammen mit Beatriz immer wieder geübt, sodass sie sie fast auswendig kannte.
Trotz all der Vorbereitung standen ihr dennoch vor Nervosität feine Schweißperlen auf der Oberlippe. Als der Leiter der Wohltätigkeitsveranstaltung ihr freundlich lächelnd zunickte, hob Jemima zu ihrer Rede an. Es ging um die Notwendigkeit von Frauenhäusern, in denen Frauen als Opfer häuslicher Gewalt mit ihren Kindern Zuflucht fanden. Mit dem Erlös der Spendengala sollten weitere Häuser gebaut werden, in denen die Frauen in Sicherheit leben und einen Neuanfang in Angriff nehmen konnten.
Alejandro hatte Jemima heute Abend begleitet, sie spürte seinen Blick auf sich liegen. Beatriz saß an der Seite ihres Bruders und lächelte ihr aufmunternd zu. Was Alejandro allerdings dachte, konnte Jemima nicht ergründen. Aber sie
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