Im Schloss des spanischen Grafen
wohl noch einmal melden.“
Während sie mit Maria gesprochen hatte, war Beatriz aus dem Salon gekommen und redete jetzt aufgeregt mit ihrem Bruder. Normalerweise stand immer ein Lächeln auf dem Gesicht der Schwägerin, doch jetzt war ihre Miene ernst, und Jemima konnte mitverfolgen, wie auch Alejandros Züge sich anspannten.
„Ist während unserer Abwesenheit etwas passiert?“, erkundigte sie sich, nachdem Beatriz davongeeilt war.
Alejandros Gesicht schien ihr jetzt wie eines der düsteren Renaissance-Gemälde aus der Ahnengalerie, Schatten lagen in seinem Blick, und seine Miene wirkte wie aus Stein gemeißelt. „Marco ist zurück. Er besucht seine Mutter und wird eine Weile bei ihr wohnen.“
Nachdem er diese Bombe hatte platzen lassen, murmelte er etwas davon, dass er noch arbeiten müsse, und bevor Jemima überhaupt den Mund zu einer Erwiderung öffnen konnte, war er auch schon verschwunden.
7. KAPITEL
Marco war wieder da! Ein merkwürdiger Zufall, dass Alejandros Bruder den nach Jahren ersten Besuch zu Hause ausgerechnet in die Zeit legte, in der auch Jemima sich in Spanien aufhielt.
Jemima wälzte sich im Bett und fand keinen Schlaf, die wirbelnden Gedanken ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Sie fragte sich, wo Alejandro sein mochte und ob er tatsächlich arbeitete. Er war wenig erfreut über die Ankunft seines Bruders gewesen.
Schuldgefühle stiegen in ihr auf. Sie konnte sich noch gut an die Zeiten erinnern, als Alejandro nichts als Zuneigung für seinen jüngeren Bruder empfunden hatte. Ob es ihr gefiel oder nicht … ihr kam eine eindeutige Rolle in diesem Prozess der Entfremdung zwischen den Brüdern zu. Rückblickend erkannte sie jedoch, dass Marcos Gefühle für den älteren Bruder immer zwiespältig gewesen waren. Als Nesthäkchen der Familie von allen verwöhnt, hatte Marco dennoch sein ganzes Leben im Schatten von Alejandros Erfolgen verbracht.
Trotz aller Bemühungen hatte er nie mit dem Älteren mithalten können. Sowohl körperlich überlegen wie auch mit außergewöhnlicher Intelligenz und einem gewieften Geschäftssinn ausgestattet, hatte Alejandro, ohne sich bewusst anzustrengen, Marco immer mühelos ausgestochen. Die Latte lag viel zu hoch, als dass Marco sie hätte überspringen können. Und so hatte Marco schließlich den Posten als Manager in einer der Galerien im Geschäftsimperium des Bruders übernommen.
Nichtsdestotrotz waren Jemima und Marco sofort bestens miteinander klargekommen. Allerdings hatte es ja auch keine Konkurrenz für Marco gegeben. Alejandro, der frischgebackene Ehemann, hatte sich als Workaholic entpuppt und Jemima allein gelassen. Sie war einsam gewesen und hatte sich gelangweilt, und in dem erdrückend steifen Haushalt Doña Hortencias war der charmante Marco Jemima wie der frische Wind vorgekommen, der ihr das Durchatmen ermöglichte. Damals ahnte sie ja noch nichts von der dunkleren Seite seines Charakters.
Denn warum sonst hätte Marco die Freundschaft, von der er immer gesagt hatte, wie viel sie ihm bedeute, opfern sollen? Warum sonst würde er seinen Bruder in dem Glauben lassen, er hätte mit dessen Ehefrau geschlafen? Wie hatte Marco das nur zulassen können? Wie hatte er so achtlos und grausam sein können, zu einem Bruder, zu einer Freundin? Noch heute verstand Jemima es nicht, aber sie brauchte Antworten auf diese Fragen. Das Einzige, was sie wusste, war, dass Marco nach New York gegangen war und es ihn offensichtlich nicht interessierte, welches unglückliche Chaos er zurückgelassen hatte.
Und während sie hier im Bett lag und über die Vergangenheit nachdachte, zeichnete sich noch eine weitere Frage ab. Warum sollte sie sich für die Lügen eines anderen schuldig fühlen? Warum sollte sie sich verantwortlich fühlen, nur weil ein anderer ihr nicht glauben wollte? Marco war es, der gelogen hatte – oder zumindest die Wahrheit verschwiegen –, und Alejandro war derjenige, der ihre Beteuerungen nicht wahrhaben wollte. Warum also sollte sie Schuld auf sich nehmen, wenn sie doch eigentlich Opfer war – Opfer der Lügen Marcos und des Misstrauens ihres Ehemannes.
Von einem jähen Entschluss angefeuert, sprang Jemima aus dem Bett, warf ihren Morgenmantel über und machte sich auf die Suche nach Alejandro. Die Opferrolle hatte noch niemandem Preise eingebracht, und so kalt, wie Alejandro vorhin den Namen des Bruders ausgesprochen hatte, stand ihm der Sinn wohl kaum nach Vergebung.
Sie fand Alejandro nicht in seinem Arbeitszimmer, sondern
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