Im Schloss unserer Liebe
dass es Kelly fast unwirklich vorkam. Nach stundenlanger Nervenbelastung und Anstrengung stießen sie endlich auf etwas Hartes. Das konnte die Kellerdecke sein.
Wie gut, dass sie sich dafür entschieden hatten, den Schlamm abzutragen, statt in die Tiefe zu gehen. Mit diesem aufwendigen und langsamen, aber sicheren Verfahren hatten sie vom Rande des Schlammfeldes aus einen neun Meter langen, an den Seiten abgestützten Graben ausgehoben, der am Ende fast vier Meter tief und für zwei nebeneinander arbeitende Menschen breit genug war.
Mit letzter Kraft schaufelten sie eine ungefähr zwei mal zwei Meter große Stelle frei und trafen auf Schalbretter. Die noch schnell wegreißen, und der rettende Durchschlupf wäre geschaffen.
„Halt“, rief eine dumpfe Stimme. „Halt.“
Konnte das Rafael gewesen sein?
„Hoheit, alles in Ordnung?“, schrie einer der Helfer.
„Nehmt euch Zeit. Das Holz ist unser einziger Schutz. Seid vorsichtig. Macht es richtig“, kam es deutlich von unten.
„Madame Henrie?“ Der Mann neben Kelly, der Vater von Heidi und Sophie, konnte vor Tränen kaum sprechen. „Wie geht es Ihnen und den Kindern?“
„Alle wohlauf.“ Die Lehrerin musste schon älter sein. Ihre Stimme klang brüchig und ängstlich, aber auch ein bisschen streng. „Prinz Rafael ist gerade noch rechtzeitig zu uns gestoßen, um die Decke abzustützen, sonst wäre sie eingedrückt worden, als die Hölle losbrach. Aber es hat ihn erwischt …“
„Erwischt?“, schrie Kelly. „Rafael.“
„Mir geht es gut“, rief er.
Sie hörte heraus, dass es nicht so war. „Wir müssen da hinein.“ Kelly versuchte, sich an den anderen vorbei nach vorne zu drängen.
Doch der Vater von Sophie und Heidi packte sie an den Schultern und sah sie fest an. „Hoheit, wir werden nicht alles zunichtemachen, indem wir diese Bretter bewegen. Wir müssen sicher sein, dass nicht alles zusammenbricht.“
„Ja … ja“, stotterte Kelly.
„Sie und ich haben genug getan“, sagte er freundlich. „Wir überlassen jetzt denen das Feld, die nicht um einen geliebten Menschen bangen müssen.“
Der Mann hatte recht. Kelly machte kehrt und lief zu Matty. Er wartete am Eingang des Grabens und machte ein Gesicht, als könnte er durch reine Willenskraft die Eingeschlossenen retten. Sie nahm ihn in die Arme und drückte ihn fest an sich. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie verschwitzt war und nasse Erde an ihr klebte. Frauen eilten mit Decken herbei und wollten sie wegführen. Doch sie weigerte sich.
Rafael … Rafael …
Endlich wurden ihre Gebete erhört. Fast drei Stunden hatte es gedauert, zu entscheiden, welches der Bretter bewegt werden durfte, ohne die Eingeschlossen zu gefährden, und es vorsichtig zu entfernen. In dieser Zeit hatten Kelly und Matty sich nicht zu rühren gewagt.
Dann machte sich Erleichterung durch Gemurmel Luft. Die anderen Schalbretter hielten und auch die seitlichen Stützen des Grabens. Vorerst wenigstens.
Gleich darauf wurde ein kleines, mit Schmutz bedecktes Mädchen aus dem Loch gezogen, hochgehoben und weitergereicht bis ans Ende des Grabens, wo die Eltern es schluchzend in die Arme schlossen. „Eveline.“
Die Helfer im Graben nahmen keine Notiz davon. Sie zogen ein Kind nach dem anderen heraus, reichten es in der Schlange weiter. Niemand sprach ein Wort.
Eile war geboten. Die geringste Erschütterung konnte alles zum Einsturz bringen.
Kelly ließ Matty bei den Frauen am Eingang und ging zurück in den Graben. Ihre Kraft reichte nicht aus, um die Kinder zu heben, aber man ließ sie trotzdem dabei sein. Ängstlich schaute sie in jedes Gesicht, das aus dem Loch auftauchte. Sie war wie gelähmt.
Außer ein paar Kratzern und Schrammen schienen die Kinder unverletzt und machten einen stabilen Eindruck. Erst wenn sie endlich von ihren Eltern umarmt wurden, klammerten sie sich an sie und weinten. Ein kleiner Junge schluchzte, als man ihn herauszog. Sein Arm war gebrochen. Trotzdem versuchte er zu lächeln, sobald er sich in Sicherheit fühlte. Ein größerer Junge hatte eine klaffende Wunde an der Wange. „Ich habe Prinz Rafael beim Abstützen geholfen“, sagte er. Man sah ihm an, dass er seine Narbe gewiss mit Stolz tragen würde.
Rafael …
Kelly konnte an nichts anderes denken. Fast schuldbewusst sah sie sich nach Matty um. Er stand am Ende des Grabens, sein Gesicht war kalkweiß. Um ihn herum lagen sich die Menschen in den Armen. Ihr Sohn wünschte, wie sie, auch für Rafael eine glückliche
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