Im Schloss unserer Liebe
ihm und trabte zum Tor. Und dann preschten sie davon.
Kelly rührte sich nicht, während sie dem verklingenden Hufschlag nachlauschte. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, was geschah.
Matty ritt ohne Begleitung in ein Katastrophengebiet. Durch den Erdrutsch waren die Wege unsicher geworden. Weder er noch sie konnten die Gefahr abschätzen, in die er sich begab. Ihr kleiner Sohn.
Mit einem Mal wurde ihr klar: Seit Kass sie verstoßen hatte, war sie auf der Flucht vor der Wirklichkeit gewesen. Erst hatte sie sich in einem Goldgräbermuseum versteckt, dann in ihrer Dachstube hier im Schloss. Nun ritt ihr Sohn mitten hinein in die Gefahr. Mit dem Mut eines Prinz Eisenherz.
Ihr dröhnte in den Ohren, was Matty ihr alles über die Pflichten eines Prinzen erzählt hatte. Sie hatte es für altkluges Gerede eines Kindes gehalten, das die Worte seines Lehrers nachplapperte. Doch ihr Sohn hatte sich alles zu Herzen genommen, was Crater ihm erzählt hatte. So klein, wie er war. Erst fünf Jahre alt.
Er war ihr Herzensprinz.
So wie Rafael.
Auch der war aufgebrochen, um den Menschen zu helfen. Und sie? Sie benahm sich wie eine Prinzessin auf der Erbse, leckte ihre Wunden und war zu nichts zu gebrauchen.
Nicht einmal zum Schönsein reichte ihr Mut.
All diese Gedanken gingen ihr durch den Kopf, ehe sie ihrer Angst Herr wurde und die einzig mögliche Entscheidung traf.
Sie eilte die Treppe hinunter und über den Vorhof zu den Stallungen. Tamsin war nicht mehr da, doch es gab genug andere Pferde. Sie hatte keine Wahl, sie musste reiten. Die Autostraße war unpassierbar.
Vielleicht würde sie nur die Hilfsarbeiten aufhalten. Es war ziemlich unwahrscheinlich, dass sie und Matty etwas Sinnvolles ausrichten konnten. Doch ihr Sohn, der Prinz von Alp des Ciel, hatte sich trotzdem aufgemacht. Ebenso wie Rafael, der Prinzregent.
Also wollte sie die beiden bei ihrem Vorhaben unterstützen.
Bald nachdem sie den Pass jenseits des Schlossgeländes überwunden hatte, wurde Kelly mit den Ausläufern des Unglücks konfrontiert. Ihre Stute bemerkte es früher als seine Reiterin, bockte und bäumte sich schließlich auf.
Offenbar kannte das Tier diese Strecke und reagierte mit Angst auf die Veränderung.
Kelly versuchte, das nervöse Pferd zu beruhigen, trieb es aber weiter an, um Matty einzuholen. Das Fortkommen wurde immer schwieriger, weil nun lockeres Erdreich und Steine im Weg lagen.
Warum holte sie Matty nicht ein? Hatte er einen anderen Weg gewählt? Sie kannte nur diesen.
„Weiter, Gigi, du schaffst es!“ Kelly hatte den Namen über der Box gelesen und hoffte, dass das Tier zu seiner fremden Reiterin Vertrauen fasste. Die Stute legte die Ohren an, gehorchte jedoch.
Endlich sah Kelly das Tal. Oberhalb und unterhalb der Straße, die am Hang verlief, zeigten sich frische Erdrisse, ganze Stücke waren herausgebrochen.
Je näher sie der Ortschaft kamen, desto stiller wurde es. Die Stute wieherte ängstlich. Es kostete Kelly viel Kraft und ihr ganzes Geschick, sie am Durchgehen zu hindern.
Wo war Matty? Er musste sehr schnell geritten sein. Auch sie war als Kind tollkühn gewesen, ohne Furcht vor einem Sturz.
Und Rafael? Wo mochte er jetzt sein?
Der Weg machte eine letzte Biegung. Dann lag die Stadt unter ihr. Blankes Entsetzen erfasste sie, als sie das Ausmaß der Zerstörung sah.
In dem abgeholten Abhang fehlte ein kegelförmiges Stück. Rutschende Erde, Steine, Geröll hatten immer mehr Erde, Steine und Geröll mit sich gerissen und Wucht und Verwüstung vervielfacht. Bis in den Ort hinein hatte sich die Masse geschoben, große Bäume entwurzelt und Häuser zum Einsturz gebracht.
Es trieb Kelly die Tränen in die Augen. Am liebsten hätte sie weggeschaut und die Flucht ergriffen. Doch sie zwang sich hinzusehen.
Menschen, waren das Menschen? Klein wie Ameisen wirkten sie aus der Ferne. Sie liefen wie ziellos umher oder standen unbewegt da inmitten des Schlamms und des Gerölls.
Endlich entdeckte sie etwas Rotes, einen kleinen roten Fleck.
Matty! Das musste Matty sein.
„Alles ist gut, Gigi. Alles ist gut“, murmelte sie und trieb die Stute an.
Doch nichts war gut. Je näher sie kam, desto klarer sah sie das Unglück.
Aus den ameisengroßen Wesen wurden Menschen mit Gesichtern, Menschen, die verzweifelt schaufelten, um ihre Häuser zu retten. Überall Schlamm und Geröll. Niemand schaute auf, als sie vorbeiritt.
Matty …
Er hatte irgendwo dort, wo einmal eine Straße gewesen war, haltgemacht, war auf seinem
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