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Im schoenen Monat Mai

Im schoenen Monat Mai

Titel: Im schoenen Monat Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile de Turckheim
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behandeln soll, wie man kann, aber aus Höflichkeit und Gastfreundschaft sage ich das nicht. Wachtmeister Lyon-Saëck sagt einen ganz langen, schönen Satz, den normalerweise keiner sagen kann, der nicht nach Roman oder Anwalt ausschaut: »Was Monsieur Milou in seiner nur allzu verständlichen Erschütterung Ihnen sagen will, Aimé, ist, dass es schlechterdings unvorstellbar ist, diesen armen Mann mit seinem erschreckenden Äußeren und seinem unvorhersehbaren Benehmen an diesem Ort zu belassen, wenn die Erbschaft erst einmal unter den Erben aufgeteilt ist.« Ich sage, es tut mir leid, wenn Martial Sie erschreckt hat, während ich mit Herrn Truchon Holz holen war. Da stellt der Wachtmeister eine Frage, mit der ich schon ein bisschen gerechnet habe: »Wo steckt er übrigens?«
    »Wer denn?«
    »Herr Truchon.«
    »Der weint.«
    »Er weint?«
    »Ja, der weint draußen.«
    »Bei diesem Gewitter? Der arme Mann! Er holt sich noch den Tod!«

8
    Ich habe nicht gut geschlafen. Statt dass er sich vorsichtig bewegt, hat Martial nur gezittert am ganzen Leib. Ich hab ihn ganz fest in die Arme genommen und ihm ein Wiegenlied vorgesungen, das vor langer Zeit extra für mich erfunden worden ist vor langer Zeit. Dabei hab ich aufgepasst, dass ich immer Martial sage statt Aimé, und gehofft, dass er nicht merkt, dass es sich dann gar nicht mehr reimt.
    Du kamst zur Welt
    Martial
    ganz klein, mit Ach und Weh
    Ich war selbst
    noch ein Kind
    mein Prinz
    und taufte dich
    Martial
    zum Trost
    wohin ich auch geh
    Wie Likör
    die gute Fee
    Martial
    Herzallerliebster
    dass in deinem Namen
    die Liebe besteh
    Auch mit dem falschen Namen geht mir das Lied ins Herz wie ein Messer, kein großes, vor dem man sich fürchtet, mehr wie ein kleines Buttermesser. Da habe ich Martial trösten wollen und jetzt bin ich genauso traurig. Es hat sowieso nicht funktioniert, Martial weint nur noch mehr. Je-je-jeder muss sch-sch-sch-terbähn, schluchzt er. Ja, sag ich, früher oder später muss jeder sterben. F-f-f-früher! Und ich sag, kommt drauf an, Martial, einer früher, der andere später. Ich schau auf mein Bett und warte, dass er nicht mehr an den Tod denkt, damit ich unter die Decke schlüpfen und die Kühle genießen kann, was nur geht, wenn man ein Bett für sich allein hat. Aber es wird immer schlimmer mit ihm, er springt auf und schlottert und schwitzt und stottert herum wie verrückt. »Na komm, Martial, hör auf zu weinen! Ich muss morgen früh raus und alles für die Hirnschüssler herrichten.« Wenn es einem aus gutem Grund schlechtgeht, kann man nicht einfach wem anderen zuliebe machen, dass es einem wieder gutgeht. Martial ist ja nicht so, weil er mich ärgern will. In der Nacht muss er immer besonders dran denken, weil es am Nachmittag passiert ist, kurz vor dem Alleinsein mit der Nacht. Vor zwei Jahren war das, im Juli, es war heiß, und jeder hat überall nach Schatten gesucht wie nach einem Glas Wasser. Sie ist gekommen, mit Schuhen, die die Fersen ganz hoch heben, und einem weißen Kleid, das so kurz wie ein Hemd ist und trotzdem Kleid heißt. Und dann hat sie vergessen gehabt, die dünnen Sachen anzuziehen, die Frauen drunter tragen, damit man den Hintern und die Brust nicht so sieht, und Martial hat seine Hormone gekriegt. Hormone, das ist, wenn du ein Mädchen siehst, und statt dass du denkst, sie ist nett und hat schöne Haare, denkst du sie dir auf den Knien mit deinem Vögelchen im Mund. In Wirklichkeit ist es natürlich kein richtiger Vogel, und Lucette sagt immer, man soll das Kind beim Namen nennen, aber ich finde es viel einfacher, ein Kind beim Namen zu nennen als zu dem Vögelchen anders zu sagen, ihr wisst schon, wie. Martial also hätte gern gehabt, dass eine Frau sein Vögelchen in den Mund nimmt und schüttelt wie einen Pflaumenbaum und es lutscht wie eine Sommeraprikose, der ihr Saft ausrinnt. Martial und ich haben im Gemüsegarten gearbeitet, und die Sonne hat sich direkt auf unseren Rücken gelegt, obwohl sie überall hinkommt. Wir sind ganz erschossen gewesen von der Hitze, Runterschlucken war jedesmal verlorene Zeit, weil wir beide keine Spucke mehr im Mund gehabt haben. Ich sag zu Martial, hast du gemerkt, dass Schlucken weh tut, wenn man nichts zum Schlucken hat? Martial hat nur die Nase gehoben als Antwort, damit er sich nicht überanstrengt. Es war Mittag und eine so kochende Hitze, dass jede Bewegung immer kleiner und langsamer geworden ist wie die zuvor. Sie hat uns eine Weile zugeschaut, auf einen Spaten

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