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Im schoenen Monat Mai

Im schoenen Monat Mai

Titel: Im schoenen Monat Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile de Turckheim
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gestützt, und sich nicht gerührt. Sie war viel schöner, als ihr euch vorstellen könnt. Wenn ihr euch jetzt eine hübsche Frau vorstellt mit einem Kleid am Leib und Absätzen an den Füßen und vergessener Unterwäsche auf der Haut, die weich und warm ist wie Suppe, und von der Hitze geröteten Wangen, dann ist das noch lang nicht so schön wie Lucette. Sie ist gerade vierzig geworden, und mit vierzig sagt man zu einer Frau normalerweise, sie ist noch eine schöne Frau, wenn man meint, sie ist nicht mehr so schön wie früher, aber Lucette ist von Jahr zu Jahr immer schöner geworden. Und das ist schon so lange so gegangen, dass ich gedacht habe, das mit dem Schöner-und-schöner-Werden hört überhaupt nicht mehr auf. Ich sag immer Lucette, weil erstens ist das ihr Vorname, und dann sind wir auch nicht weit genug auseinander, dass ich zu ihr Mama sagen kann. Damit man Mama sagen kann, muss man mindestens sechzehn Jahre auseinander sein, weniger ist Sünde, besonders, wenn man weiß, wie man Kinder macht. Ich muss auch nicht unbedingt Mama sagen, weil das sagen eh alle anderen Kinder. Und Spitznamen kann ich nicht leiden. Monsieur Louis hat immer Mémé zu mir gesagt, um mich zu ärgern, geh die Schweine füttern, Mémé, geh die Allee harken, Mémé, geh Betten machen für die Hirnschüssler, Mémé, geh Holz hacken, Mémé, obwohl er genau gewusst hat, dass ich Aimé heiße und dass ich Holzhacken hasse wie die Pest. Lucette ist ein hübscher Name und auch das größte Kompliment, das ich machen kann, weil alles, was ich von der Liebe weiß, Lucette erfunden hat. Sie steht also nur so da, auf den Spaten gestützt, und tut nichts, und schon ist man mit dem Herzen bei der Arbeit, also ich bei meiner, weil Martial hat ja seine Hormone, und wenn ich ihn so sehe mit der Beule in seiner Hose, glaube ich, dass sein Herz ganz woanders ist. In dem Moment schreit Monsieur Louis aus dem Fenster: »Pipette!« Monsieur Louis hat immer Pipette zu Lucette gesagt, ich weiß nicht, ob ihr versteht, warum, aber wenn ihrs versteht, dann versteht ihr auch, warum ich Monsieur Louis nicht leiden hab können. Lucette lässt den Spaten fallen, schaut mich an mit ihrem Tupfentuch in den Haaren und ihrem roten Kussmund und all dem anderen Schönen, was sie immer an sich gehabt hat, und sagt, ich komm bald wieder. Und ob ihrs glaubt oder nicht, das ist immer das Sicherste in meinem Leben gewesen, dass Lucette jedesmal, wenn sie gesagt hat, sie kommt, auch immer gekommen ist, genau wie sie es versprochen hat. Martial ist ganz böse geworden. Warum, hat er gefragt, ganz ohne Stottern und ohne dass er gewusst hat, dass es das letzte Mal ist, dass er was ohne Stottern sagt, warum immer Monsieur Louis? Bin ich ihr nicht gut genug? Dann hat er mich angeschaut und gesagt, pah, ich habe auch ein Recht darauf! Sie ist doch eine Nutte! Und weil Lucette von Beruf Nutte gewesen ist, habe ich nichts drauf gesagt und weitergegraben. Martial hat es schon einmal gemacht gehabt, mit der kleinen Claude, die immer die Eier von unseren Hühnern gekauft hat, und noch ein anderes Mal, aber mit wem, erzähle ich nicht, weil es kein wer war, sondern ein was, aber ich gebe euch einen Tipp: Es wohnt in der Scheune und kriegt Gerste und Mais zu fressen. Ich habe es noch nie gemacht, obwohl Jeanne, die immer die Hemden von Monsieur Louis gebügelt hat, zu mir gesagt hat, ich bin ein schöner Mann, und wenn es dunkel wird, wartet sie hinterm Friedhof auf mich. Aber ich bin nicht hingegangen, weil immer was zu tun war und ich gut gemachte Arbeit mag.
    Lucette geht ins Haus. Die Schaufel hat sie mitten auf dem Weg liegen gelassen, der am Gemüsegarten entlang zum Haus führt, und ich denke an was anderes, wie jedesmal, wenn Lucette mit Monsieur Louis ins Haus gegangen ist. Ich denke an die immer gleichen, viel zu heißen Sommer, wie ich mit krummem Rücken im Gemüsegarten gegraben und Nesseln gerupft hab. Ich denke daran, dass ich schon in dem Gemüsegarten war, wie ich noch ganz klein war, nur das Gemüse, das wir damals gehabt haben, war anders. Ich denke daran, dass ich damals, wie ich noch ganz klein war, kein Geld gekriegt habe für die ganze Arbeit im Gemüsegarten, aber das ist normal, weil Kinder sind ja zum Spielen auf der Welt und zum Plärren und nicht zum Geldverdienen. Ich denke daran, dass ich auch später nie Geld gekriegt habe, der einzige Unterschied war, dass ich größer geworden bin und kein Kind mehr war. Monsieur Louis hat gesagt, das ist normal,

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