Im schoenen Monat Mai
Ihre so eine ist, die Geld für was kriegt, was die meisten umsonst machen.«
Man kann ihm ansehen, dass er was Vertrauliches sagen will, der Herr Wachtmeister. Er zögert und mahlt mit dem Mund wie eine Kuh. Er hat sein Suze-Glas auf den Frühstückstisch gestellt und riecht jetzt dran, wie wenn er richtig Angst hat, dass ihm wer heimlich Wasser hineingeschüttet hat. Sacha Milou hat nur die Butterdose und die kleinen Croissants im Sinn, deswegen erzählt der Wachtmeister seine Tag- und Nachtgeschichte vor allem mir.
»Hören Sie, ich werde Ihnen etwas erzählen, um die Zeit totzuschlagen … Wir haben ja alle eine Moral, Grundsätze, Überzeugungen … Auch Sie, Aimé, Sie als Erster!«
Wie er sagt, Sie als Erster, denkt er sich natürlich, Sie als Letzter, hat aber Angst, dass man ihm das ansieht. Falls ich aber ein bisschen Moral und ein paar Grundsätze drumrum haben sollte, denkt er, dann ist das trotz meiner Erziehung und dem Milieu.
»Aber in den Prüfungen des Lebens erkennen wir, dass Grundsätze Schall und Rauch sind. Sie helfen einem nicht und martern einen zu Tode, wenn es zu spät ist.«
Verglichen mit den bekannten Märtyrern wie dem Heiligen Bartholomäus, dem sie bei lebendigem Leib die Haut abgezogen haben, oder dem Heiligen Laurentius, den sie auf einem Grill geröstet haben, wirkt er aber ganz wohlauf, der Wachtmeister Lyon-Saëck.
»Meine Eltern haben meine Berufung nie akzeptiert. Es war ihr Traum, dass ich mir eine Existenz als Arzt oder Anwalt schüfe. Sie haben meine Entscheidung als Beleidigung ihres Standes angesehen.«
Bei dem »schüfe« bin ich zusammengezuckt. Ich habe nichts dagegen, wenn Leute Fehler machen, aber er, der die unmöglichsten Verrenkungen macht, nur um das schönste Französisch zu sprechen, sollte nicht »schüfe« sagen, wo es nicht hingehört. Außerdem habe ich nie begriffen, warum Eltern aus ihren Kindern Ärzte oder Anwälte machen wollen. Wenn ich ein Kind hätte, wäre es mir lieber, es tut nichts und genießt das Leben, oder es wird eine englische Haushälterin, aber warum Arzt oder Anwalt? Dass es sich die ganze Zeit nur mit Kranken oder Akten herumschlägt? Warum soll ich ihm sowas antun?
»Ich war schon seit einigen Jahren im Polizeidienst, als ich Mathilde kennenlernte, die bei mir die Beständigkeit fand, an der es ihr völlig fehlte. Sie wurde schwanger, bevor wir verheiratet waren.«
»Ich habe gedacht, man kann nicht schwanger werden, wenn man nicht verheiratet ist!«
»Das habe ich auch gedacht, Aimé.«
»Und was hat Mathilde gedacht?«
»Nichts. Sie hat nicht gedacht. Ihr Hirn war nicht größer als ein Stecknadelkopf, und ihre Gesundheit war grauenerregend.«
»Und was hat Ihnen an ihr gefallen, wenn es das Hirn nicht war und die Gesundheit auch nicht?«
»Sie war schön, Aimé! So schön, dass Sie es sich nicht einmal vorstellen können!«
»Ah, deswegen haben Sie die Hochzeit nicht abwarten können, um es zu machen. Dann ist das Kind auf die Welt gekommen und groß geworden, und jetzt müssen Sie sich um den Lieferanten für das Hochzeitsessen kümmern!«
»Nein, nein, Aimé, Sie verwechseln das … Ich hatte mehrere Leben … Ich habe gerade von meinen ersten Jahren bei der Polizei erzählt, da war ich noch keine dreißig … Das war lange vor der Geburt meiner Céline, das war wie Tag und Nacht!«
»Ah, wie Tag und Nacht? Wirklich? Also die erste Tochter war schwarz und kalt wie die Nacht und die zweite strahlend und schön wie die Sonne?«
Wie der Wachtmeister das gehört hat, hat er einen Schritt zurück gemacht.
»Ja … naja … ich habe die ganze Geschichte aus meinem Leben gestrichen.«
»Es ist bestimmt nicht leicht, Menschen aus seinem Leben zu streichen.«
Er rührt sich nicht, der Herr Wachtmeister. Er schaut mich an und hebt sein Glas, irgendwie komisch, wie so ein Schild zwischen mir und ihm. Dann fängt er wieder an zu reden, aber nicht, weil er was sagen will, sondern nur, damit er wen reden hört, wie ein Kind, das in der Finsternis singt, damit die Finsternis glaubt, dass es sich nicht vor ihr fürchtet.
»Sie müssen bedenken, dass ich nicht in Mathilde verliebt war … Ich habe für sie nichts … nichts Höheres empfunden als … sagen wir, Mitleid … und was das Kind betrifft, das sie zur Welt gebracht hat, die Kleine … ich bin nie sehr an ihr gehangen. Sie hatte das Laster im Blut. Schon wenn man sie so in der Wiege liegen sah, konnte man ahnen, dass es mit ihr einmal ein böses Ende nehmen würde.
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