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Im schoenen Monat Mai

Im schoenen Monat Mai

Titel: Im schoenen Monat Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile de Turckheim
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kommt mit Hemdbrust herunter und gähnt, hat aber keine Hand mehr frei zum Vorhalten, weil er mit beiden Händen Pistache trägt.
    »Entschuldigen Sie, dass ich mir die Hand nicht vorgehalten habe.«
    »Haben Sie gut geschlafen, Herr Milou?«
    »So gut man schlafen kann mit einer Leiche im Parterre!«
    Dabei schaudert er so, dass das Fett an seinen Armen wabbelt.
    »Was haben Sie denn für eine schöne Tätowierung da am Arm, Herr Milou?«
    Noch bevor ich ausgeredet habe, hat er schon seine Finger auf die Stelle gelegt, wie wenn ihn eine Wespe gestochen hat.
    »Großer Gott, nichts Besonderes, eine Jugendsünde.«
    »Ist das nicht ein Name?«
    »Nein. Oder ja, ein Name, aber von niemand Bestimmtem.«
    »Ah.«
    »Nein, nein, von niemand Bestimmtem!«
    Er fährt dem Pistache mit seinen goldenen Ringen durchs Fell, und Pistache schaut drein, wie wenn er es nicht mehr aushält, weil das den ganzen Tag so geht mit der Streichelei.
    Wir schauen alle drei auf Frau Truchon, weil du kannst gar nicht nicht auf eine Leiche schauen, wenn eine auf dem Fußboden liegt.
    »Ich habe bei der Rettung angerufen, dass sie sie holen kommen.«
    »Haben Sie Herrn Truchon Bescheid gesagt?«
    »Das war nicht möglich, er hat nur geweint.«
    »Aber Aimé! Das ist doch das Erste, was man tun muss!«
    »Tut mir leid, Herr Wachtmeister. Ich werde mich gleich bei ihm entschuldigen, wenn er die Treppe runterkommt.«
    Sacha Milou ist das mit der Rettung egal. Ich schaue seine Hand an, weil es kaum zu glauben ist, wie viel man so einen Hund streicheln kann.
    »Sagen Sie mal, Modeste, schläft der Herr mit den Augen noch?«, fragt Sacha Milou und zieht mit zwei Fingern an seinen Augenwinkeln, dass sie wie Chinesenaugen sind.
    »Mein Name ist nicht Modeste, Herr Milou, ich heiße Aimé.«
    »Ach ja! Modeste … Aimé … Das ist doch Jacke wie Hose.«
    »Warum sagen Sie Jacke wie Hose?«
    Der Wachtmeister kratzt sich am Hals als Zeichen, dass es ihm peinlich ist.
    »Ich meine, dass … Jacke wie Hose, das ist wie Marcel oder André oder Martha oder Gilberte oder Hans oder Franz, verstehen Sie?«
    »Nein, ich verstehe gar nichts.«
    Der Wachtmeister hustet mit seiner ganzen Polizeigewalt.

10
    Ich habe die Zeit genutzt, die wir auf Herrn Truchon und auf den anderen Erben mit dem ganz kurzen Namen und auf den wohltätigen Sanitäter und auf den tapferen Notar gewartet haben, und habe den Frühstückstisch schön gedeckt. Es tut gut, wenn man einen Frühstückstisch betrachtet, wo alles nach den Regeln der Tischkunst gedeckt ist, die nicht so bekannt ist wie die Malerei, aber praktischer für ordentliche Menschen, die nicht so einen Sinn für Farben und Schönheit haben. Im Fernseher von Monsieur Louis habe ich einmal englischen Haushälterinnen zugeschaut, wie sie den Frühstückstisch decken, weil in England ist das Frühstück nämlich das einzige essbare Essen. Die englischen Haushälterinnen lieben ihren Beruf mehr als ihre Mutter, aber weniger wie ihre Königin, deswegen stellen sie das Geschirr und alles so auf, wie es der Königin gefällt. Damit sie sich nicht irren, messen sie den Abstand mit einem Holzlineal. Ein Zoll zwischen Tasse und Löffel, ein halbes Zoll zwischen Gabel und Messer, drei Zoll fünfzig zwischen Serviette und Tellerrand, zweieinviertel Zoll zwischen Teller und Tischrand, und ein Fuß vierzig zwischen dem Saftglas und dem Saftglas auf dem Nachbarplatz. Das war meine liebste Sendung in meinem ganzen Leben, und in der Nacht hat mir oft geträumt, dass ich in England Frühstücksausmesser vom Dienst bin. Einmal hab ich sogar geträumt, ich bin der offizielle Frühstücksausmesser bei der Königin, was ganz schön hochmütig ist, aber Lucette sagt immer, Hochmut hilft gegen Selbstmord und Seelenweh, und man soll immer ein bisschen was davon bei sich haben für die Tage, an denen das Leben es übertreibt. Ich habe Monsieur Louis gefragt, ob ich ein Holzlineal haben kann wie die Haushälterinnen im Fernsehen. Aber Monsieur Louis hat gesagt, nein, bei uns geht es rustikal zu, das wollen die Hirnschüssler hier finden, das Rustikale, und nie und nimmer Geschirr von der englischen Königin. Trotzdem es verboten ist, messe ich heimlich mit den Fingern nach, auch wenn das Heimliche gar keinen Sinn mehr hat, weil Monsieur Louis, wie ich schon öfter erwähnt habe, tot ist.
    »Um wieviel Uhr kommt der Notar?«
    Das ist der Beweis, dass es den Sacha Milou auch ziemlich interessiert, wann der Notar endlich kommt. Er schaut auf den

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