Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im schoenen Monat Mai

Im schoenen Monat Mai

Titel: Im schoenen Monat Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile de Turckheim
Vom Netzwerk:
Und als sie das Unverzeihliche beging und einen dicken Bauch bekam, da habe ich auf meinen Mut gehört und sie Adèle anvertraut … meiner alten Amme Adèle … zweiundvierzig, aber noch ganz gut in Schuss … damit sie ein Heim für sie findet, wo man missratene Töchter wieder auf Vordermann bringt. Eines Tages kam sie zu mir und sagte: ›Jacques, ich habe den idealen Platz für die Kleine gefunden.‹ Ich habe ihr genug Geld gegeben, um ein reines Gewissen zu haben. Es war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Sie ist mir beileibe nicht leicht gefallen, doch ich bin heute noch stolz darauf.«
    So stolz, dass er seinen Blick senken muss. Dann hat er noch viel aus seinem Wasserglas getrunken und noch viel erzählt, ich habe ihm aber nicht zugehört, weil ich die wahre Geschichte schon von jemand anders kenne. Ich wollte euch nur die Stelle mit Tag und Nacht zeigen, weil das nämlich nicht geht, dass einer nur wie der Tag ist und einer nur wie die Nacht. Lucette sagt immer, wir sind alle irgendwas zwischen Hund und Wolf. Das heißt, wie wenn man in der Stunde zwischen Tag und Nacht von fern etwas sieht und nicht weiß, ob es ein Hund ist oder ein Wolf.

11
    Sacha Milou ist viel zu schnell die Treppe hinaufgegangen für seine Kurzatmigkeit, und wie er wieder herunterkommt, hab ich begriffen, warum sein Koffer zweimal so groß ist wie der vom Herrn Truchon, obwohl Herr Truchon, wie ich schon erwähnt habe, sehr groß ist, und Sacha Milou wiederum ganz klein. Er trägt etwas vor sich her, als wenn man nicht drumrumkommt. Es ist riesig, mit ganz vielen Knöpfen, und schaut aus, als wenn es vom Vater auf den Sohn gekommen ist und schon bei sämtlichen Familienfeiern dabei war seit dem Krieg, egal, was für einem. Einem, den wir gewonnen haben, da bin ich mir sicher, auch wenn Lucette gesagt hat, Kriege kann man nicht gewinnen. Das hat Monsieur Louis sehr geärgert, wenn er es gehört hat. Dann ist er immer aus seinem grünen Sessel aufgestanden und hat Lucette seine Zigarettenschachtel an den Kopf geworfen. »Ah, Kriege kann man also nicht gewinnen. Was weißt du denn davon? Kriege kann man nicht gewinnen! Und was ist das, Pipette?« An der Stelle hat Monsieur Louis jedesmal seinen Schlafrock aufgemacht und ein winziges Ding hergezeigt, das ganz unter den Haaren versteckt war und wie eine Kapuze aus Plastikhaut war, an der Stelle hat ihn nämlich die feindliche Kugel getroffen und ist nie wieder herausgekommen. Sie hat sich in einen Rippenknochen gebohrt, hat er gesagt, und dass er jeden Tag dran leidet, dass sie dort steckt. Und dann hat er von dem Nazi erzählt, der mitleidslos auf ihn gezielt hat. Nazis, das waren damals die Feinde. Das waren Tiere und Monster, und mit den Franzosen hat das gar nichts zu tun gehabt. Weil unter den Franzosen hat es keinen gegeben, der so gedacht hat wie die Nazis oder ihnen auch nur irgendwie geholfen hat. Ich habe mir nicht viel gedacht, wenn Monsieur Louis von dem Nazi erzählt hat, der ihm in die Seite geschossen hat. Ich finde, das kann ja auch ein Souvenir sein, ein Zeichen, dass man ein Held ist, davon kann man noch den Enkelkindern erzählen, wenn man welche hat, aber er hat ja keine, weil er nie geheiratet hat. Er ist aus einer Zeit, wo es keine Liebe gegeben hat zwischen den Eheleuten, ganz anders wie heutzutage, wo Liebesheiraten modern sind und sehr erfolgreich. Aber der arme Monsieur Louis hat auch ohne Liebe keine Frau gefunden. Er hätte Lucette schon gern geheiratet, das Problem war nur, dass Zwangsehen bei uns verboten sind und Lucette gesagt hat, da hänge ich mich lieber auf, bevor ich die alte versoffene Sau zum Mann nehme. Das hat mich traurig gemacht, wie sie das gesagt hat. Weil erstens die Schweine es nicht verdienen, dass man so schlecht von ihnen spricht, und zweitens, wenn sie Monsieur Louis geheiratet hätte, wäre sie immer ganz nah bei mir gewesen, und ich hätte jeden Tag das Gefühl gehabt, es ist Samstag. Was ich mit dem Ganzen nur sagen will, ist, dass es mir ziemlich egal ist, was Monsieur Louis von dem Nazi erzählt, der ihn an der Seite getroffen hat, aber Lucette hat gesagt, der Nazi, der auf Monsieur Louis geschossen hat, heißt Truchon.
    Weil es so groß ist und so handlich wie eine Kommode, ist Sacha Milou damit erst jetzt die Treppe heruntergekommen und schnauft für vier. Er grinst uns an, wie wenn er erwartet, dass wir ihn bitten, er soll für uns singen. Wenn man wem so leicht eine Freude machen kann, dann muss ich das einfach tun.

Weitere Kostenlose Bücher