Im Schutz der Nacht
Heute hatte sie ihr welliges braunes Haar einfach im Nacken mit einer großen Schildpattklammer zusammengefasst. Ihre Fingernägel waren kurz und farblos, weil das angesichts der Tatsache, dass sie so oft Teig kneten musste, am praktischsten war, sie wusste nicht mehr, wann sie sich das letzte Mal die Zehennägel lackiert hatte. Ihre Kosmetik beschränkte sich in den letzten Jahren aus Zeitmangel vornehmlich darauf, ihre Beine und Achseln zu rasieren, und das tat sie nur, weil ... na schön, einfach so. Außerdem brauchte sie dafür nur drei Minuten länger unter der Dusche.
Die Jungs waren so begeistert über den Besuch ihrer Mimi, dass sie eine volle halbe Stunde vor ihrer üblichen Zeit im Pyjama die Treppe heruntergedonnert kamen. Sherry war gerade eingetroffen, gefolgt von drei Gästen, und Cate überließ es nur zu gern ihrer Mutter, die Jungs zu unterhalten und ihnen Frühstück zu machen. Ihr eigenes Frühstück beschränkte sich auf ein Muffin, von dem sie bei jeder Gelegenheit einen Bissen stibitzte.
Es war ein strahlend schöner Tag, die Septemberluft war frisch und klar, und man hätte meinen können, dass an jenem Morgen wirklich jeder Bewohner von Trail Stop bei ihr vorbeischaute. Sogar Neenah Dase, eine ehemalige Nonne, die aus nur ihr bekannten Gründen aus ihrem Orden ausgeschieden war und nun einen kleinen Futterladen besaß und betrieb, kam auf einen Muffin herein. Sie war auch Mr Harris’ Vermieterin, da er in dem winzigen Apartment über ihrem Laden wohnte. Neenah war eine stille, in sich ruhende Frau von Mitte vierzig und war für Cate einer der angenehmsten Menschen in Trail Stop. Weil beide ein Geschäft zu führen hatten, fanden sie nicht oft
Zeit zum Plaudern, so auch an diesem Morgen. Mit einem Winken und einem fröhlichen Abschiedsgruß eilte Neenah aus der Tür und war weg.
Bei all dem Trubel wurde es Mittag, bis Cate wieder eine Gelegenheit fand, nach oben zu gehen. Ihre Mutter spielte immer noch mit den Jungs, sodass Cate alles für die Gäste vorbereiten konnte, die am Nachmittag eintreffen sollten. Mr Layton war in der Zwischenzeit weder zurückgekehrt, noch hatte er angerufen, inzwischen war sie eher besorgt als verärgert. Ob er einen Unfall gehabt hatte? Die Schotterstraße konnte heimtückisch sein, wenn man aus Unerfahrenheit eine Kurve zu schnell nahm. Inzwischen war er seit über vierundzwanzig Stunden verschwunden, ohne ein Lebenszeichen von sich gegeben zu haben.
Sie fasste sich ein Herz und ging in ihr Zimmer, wo sie das Sheriff’s Department ihres Countys anrief und nach kurzem Warten mit einem Ermittler verbunden wurde. »Hier ist Cate Nightingale in Trail Stop. Ich besitze die hiesige Pension, einer meiner Gäste ist seit gestern früh verschwunden und nicht wieder aufgetaucht. Seine Sachen sind alle noch hier.«
»Wissen Sie, wohin er wollte?«, fragte der Ermittler.
»Nein.« Ihr fiel wieder ein, wie er am Morgen vor dem Eingang zum Speiseraum zurückgeschreckt war. »Er ist irgendwann zwischen acht und zehn Uhr verschwunden. Ich habe nicht mit ihm gesprochen. Aber er hat nicht angerufen und hätte eigentlich gestern Vormittag um elf sein Zimmer räumen sollen. Ich habe Angst, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte.«
Der Ermittler notierte Mr Laytons Namen und Beschreibung und fragte dann nach seinem Autokennzeichen, woraufhin Cate in ihr Büro hinunterging, um die entsprechenden Unterlagen herauszusuchen. Der Ermittler hielt es genau wie sie für möglich, dass Mr Layton verunglückt sein könnte, und erklärte ihr, dass er erst im hiesigen Krankenhaus nachfragen und sich am Nachmittag wieder bei ihr melden würde.
Damit musste sie sich zufriedengeben. Sie kehrte ins Obergeschoss zurück, ging in Mr Laytons Zimmer, um festzustellen, ob er irgendetwas hinterlassen hatte, das darauf schließen ließ, wohin er gefahren war. In der obersten Schublade der Kommode in Zimmer drei lagen lediglich ein paar Münzen auf dem blanken Holz. Im Schrank hing ein Satz Wechselkleidung, und der offene Koffer auf dem Gestell enthielt Unterhosen und Socken, eine kleine Einkaufstüte von Wal-Mart mit verknoteten Henkeln, eine Schachtel Aspirin und eine aufgerollte Seidenkrawatte. Sie hätte liebend gern einen Blick in die Einkaufstüte geworfen, aber sie fürchtete, dass der Ermittler das nicht gutheißen würde. Was, wenn Mr Layton einem Verbrechen zum Opfer gefallen war? Cate wollte keine Fingerabdrücke auf seinen Sachen hinterlassen.
In dem kleinen, zum Zimmer gehörenden
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