Im Schutz der Nacht
von ihrer Familie lebte, aber hier kam sie mit deutlich weniger Geld aus. Vielleicht hatte sie nicht die bestmögliche Entscheidung getroffen, aber alles in allem war sie zufrieden mit ihrer Wahl.
Ihre Mutter kam gähnend in die Küche, trat ohne ein Wort an den Küchenschrank, um eine Tasse herauszunehmen, und verschwand in den Speiseraum, um sich Kaffee einzuschenken. Cate warf einen Blick auf die Uhr und seufzte. Viertel vor sechs; ihre zwei Stunden ganz allein waren gnadenlos gekürzt worden, aber zur Belohnung konnte sie etwas Zeit mit ihrer Mutter verbringen, bevor die Jungs nach ihrer Mimi schreien konnten. Auch hier wogen Vor- und Nachteile einander auf. Sie vermisste ihre Mutter und wünschte sich, sie würden einander öfter sehen.
Das Gesicht praktisch im Kaffee badend, kehrte Sheila in die Küche zurück und ließ sich seufzend am Küchentisch nieder. Da Sheila kein Morgenmensch war, hegte Cate den Verdacht, dass sie ihren Wecker gestellt hatte, um etwas Zeit mit ihrer Tochter verbringen zu können, bevor die Zwillinge aufstanden.
»Was für Muffins heute?«, fragte Sheila schließlich mit rauer Stimme.
»Apfelbutter.« Cate lächelte. »Ich habe das Rezept aus dem Internet.«
»Ich wette, die Apfelbutter hast du nicht aus dem winzigen Kramladen gegenüber.«
»Nein, die habe ich online bei einem Versand in Sevierville, Tennessee, bestellt.« Cate überging die Stichelei, weil sie zum einen berechtigt war und weil sie zum anderen wusste, dass ihre Mutter auch etwas zu bemängeln gefunden hätte, wenn Cate nach New York gezogen wäre, da Sheilas Hauptproblem darin lag, dass sie ihre Tochter und ihre Enkelkinder um sich haben wollte.
»Tanner spricht inzwischen mehr«, bemerkte Sheila wenig später und schob eine blonde Strähne aus ihrem Gesicht. Sie war eine wirklich hübsche Frau, Cate hatte sich oft gewünscht, sie hätte das Aussehen ihrer Mutter geerbt statt den Mischmasch an Erbanlagen, den sie mit sich herumschleppte.
»Nur wenn er will. Inzwischen bin ich fast so weit, dass ich glaube, er hält sich absichtlich zurück und überlässt es Tucker, in Schwierigkeiten zu geraten.« Mit einem breiten Lächeln erzählte sie die Anekdote mit Mr Harris’ Werkzeugen und wie sich Tanner klammheimlich ein paar einfache mathematische Grundlagen angeeignet hatte, dank derer er wusste, dass er nur noch acht Minuten abzusitzen hatte.
Ihre Mutter lachte, aber ihr Gesicht strahlte vor Stolz. »Ich habe gelesen, dass Einstein erst mit sechs zu sprechen angefangen hat oder etwas in der Art. Vielleicht liege ich beim Alter ein bisschen daneben.«
»Ich glaube nicht, dass er der nächste Einstein wird.« Cate würde sich mit gesund und glücklich bescheiden. Sie hatte sich keine ehrgeizigen Ziele für ihre Söhne gesetzt; Prinzipien schon, aber keine ehrgeizigen Ziele.
»Man kann nie wissen.« Sheila gähnte. »Mein Gott, ich würde es nicht aushalten, jeden Tag so früh aufzustehen. Die reinste Barbarei. Jedenfalls kann man nie wissen, was aus einem Kind wird. Du warst so ein Wildfang, immer hast du Baseball gespielt oder bist auf Bäume geklettert, später warst du sogar in diesem Kletterverein, und jetzt sieh dich an: Du führst das Leben einer Hausfrau. Du putzt, du kochst, du servierst.«
»Ich führe ein Unternehmen«, korrigierte Cate. »Und ich koche gern. Ich bin eine gute Köchin.« Das Kochen bereitete ihr meist Vergnügen. Es störte sie auch nicht, ihre Gäste zu bedienen, weil der persönliche Kontakt dazu beitrug, dass sie wiederkehrten. Andererseits konnte sie das Putzen nicht ausstehen und musste sich jeden Tag dazu zwingen.
»Da kann ich dir nicht widersprechen.« Sheila zögerte. »Als Derek noch lebte, hast du kaum gekocht.«
»Nein. Wir haben uns das Kochen aufgeteilt, und wir haben ab und zu etwas liefern lassen. Außerdem waren wir oft aus, wenigstens bis die Jungs geboren wurden.« Bedächtig goss sie Milch in einen Messbecher, leicht vorgebeugt, um die Markierungsstriche im Auge zu behalten. »Aber nachdem er gestorben war, war ich jeden Abend mit den beiden daheim, und bald ging mir das ewige Fastfood so auf die Nerven, dass ich ein paar Kochbücher gekauft und zu kochen begonnen habe.« Es war schwer vorstellbar, dass das erst drei Jahre her war; das Ritual des Abmessens und Mischens war ihr inzwischen so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie das Gefühl hatte, schon ewig zu kochen. Die frühen Experimente, bei denen sie alle möglichen exotischen Gerichte ausprobiert
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