Im Schutz der Nacht
ihrem Schrank voll, aber dann brachte sie keine Kraft mehr auf, ihr Werk fortzusetzen.
Anschließend spielte sie mit dem Gedanken, die ersten großen Steine rund um ihren Parkplatz aufzustellen, aber stattdessen griff sie zu einem Buch, das sie vor Längerem besorgt hatte, und las ein paar Kapitel, bevor sie darüber einnickte. Nach einer Stunde wachte sie benommen wieder auf und wusste nichts Besseres zu tun als fernzusehen, wozu sie sonst kaum kam. Sie stellte fest, dass das Samstagnachmittagsprogramm erbärmlich war.
Sie überlegte, ob sie ein Rezept für Spaghetti-Hackfleischbällchen-Suppe ausprobieren sollte, das sie irgendwo gefunden hatte, weil sie sich vorstellen konnte, dass die Jungs begeistert wären, aber vor allem wollte sie wissen, ob es so leicht zu kochen war, dass sie es ihren Gästen servieren konnte, falls sie in diesem Winter tatsächlich ein warmes Mittagessen anbieten würde. Sie ging in die Küche, holte die Zutaten heraus und stellte dann alles wieder zurück, um stattdessen eine Dose Spaghetti mit Fleischbällchen zu öffnen, die sie für die Jungs gekauft hatte. Sie aß das Hackfleisch und ließ die Nudeln in den Müll wandern.
Sie war schläfrig und müde, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie einfach ins Bett gehen konnte, wenn ihr danach war. Sie brauchte nach niemandem zu sehen, brauchte nichts mehr zu erledigen, und sie hatte niemanden zum Reden. Also hatte sie geduscht, einen dicken Schlafanzug angezogen, weil es in den vergangenen zwei Nächten richtig kalt geworden war, und sich um kurz nach sieben ins Bett gelegt, was ihr ausgesprochen dekadent vorkam.
Viel später schreckte ein ohrenbetäubender Knall sie aus einem so tiefen Schlaf, dass sie im ersten Moment völlig perplex war und nicht mehr wusste, wo sie war und was sie hier tat, weshalb sie im Bett liegen blieb und blinzelnd in die absolute Dunkelheit starrte. Dann war sie wach genug, um auf die Uhr zu sehen, musste aber entdecken, dass an der betreffenden Stelle keine roten Digitalziffern leuchteten. Der Strom war ausgefallen.
»Verflucht«, murmelte sie, weil ihre Uhr keine Notbatterie hatte und sie darum früher oder später aufstehen musste, um den kleinen batteriebetriebenen Reisewecker zu suchen, den sie seit Jahren besaß, andernfalls würde sie am nächsten Morgen verschlafen. Die Alternative wäre gewesen, wach sitzen zu bleiben, bis der Strom wieder lief. Eine Weile blieb sie liegen und rätselte, ob der Knall von einer Explosion im Transformator hergerührt hatte, was auch den Stromausfall erklären würde. Oder ob es vielleicht ein wirklich heftiges Gewitter gab und irgendwo ein Blitz eingeschlagen war.
Dann hörte sie weitere Explosionen, die aber ganz anders klangen als der erste Schlag, weil sie das Haus nicht zum Beben brachten. Diese Schläge waren leiser, aber dafür schärfer, und sie hallten knapp wider. Außerdem waren es viele. Sie wünschte, der Lärm würde aufhören, sie wollte weiterschlafen ...
Die Erkenntnis traf sie wie eine Ohrfeige und schleuderte sie komplett aus der Bahn. O mein Gott, das waren Schüsse!
Aus dem Zimmer der Zwillinge hörte sie splitterndes Glas.
Sie sprang aus dem Bett und griff blindlings nach der Taschenlampe, die sie immer auf dem Nachttisch stehen hatte, falls einer der Jungs in der Nacht nach ihr rief. Ihre Hand strich darüber hinweg und warf sie um; der Schaft schlug mit einem dumpfen Schlag und einem Klappern auf dem Boden auf und rollte davon.
»Scheiße!« Sie brauchte unbedingt eine Taschenlampe; im Haus war es finster wie in einem Pharaonengrab; wenn sie sich in der absoluten Dunkelheit zurechtzufinden versuchte, würde sie garantiert über irgendwas stolpern und sich den Hals brechen. Sie ging auf Hände und Knie nieder, krabbelte auf dem Schlafzimmerboden herum und wischte mit einer Hand durch den Bereich vor ihr. Nach ein paar panischen Wischbewegungen fuhren ihre Finger über kaltes Metall. Sie drückte den Schalter, und aus der Lampe schoss ein breiter Strahl, der ihre Umgebung wieder vertraut wirken ließ und die verstörende Orientierungslosigkeit vertrieb.
Sie lief auf den Korridor, wo sie instinktiv nach links bog, dem Zimmer der Zwillinge zu. Neuerliches Glassplittern ließ sie innehalten. Die Jungs waren nicht hier, sie waren sicher und wohlbehalten in Seattle bei ihren Eltern, und ... und ... schoss da jemand auf ihr Haus?
Ihr gefror das Blut in den Adern, bis sie in Ohnmacht zu fallen fürchtete und sich schwankend mit einer Hand an der
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