Im Schutz der Nacht
schmiegte. Selbst im matten Widerschein der
Taschenlampe sah sie den Schweiß auf den nackten Armen glänzen, auf unerwartet sehnigen und kraftvollen Armen. Sein Haar war immer noch zerzaust, aber seine grimmige, entschlossene Miene wirkte kein bisschen schüchtern.
Cate bekam kaum noch Luft. Sie stand am Rande einer inneren Klippe und hatte Angst, sich zu bewegen, hatte Angst, sie könnte ... was genau? Das wusste sie nicht, aber das Gefühl, jeden Augenblick fallen zu können, war fast so beängstigend wie die Schüsse draußen.
Jemand erschien in der aufgebrochenen Tür, und zu Cates Verblüffung trug auch er ein Gewehr oder eine Schrotflinte. »Ist Cate was passiert?«, fragte er. Cate erkannte Walter Earls Stimme.
»Mir geht es gut, Walter.« Sie ging auf die Tür zu. »Ist Milly okay? Wurde jemand verletzt?«
»Milly sitzt hinter deinem Haus auf dem Rasen. Ich hielt es für besser, in Deckung zu bleiben, darum habe ich sie dort gelassen. Die Leute ziehen sich langsam zurück. Jemand hat ihnen das geraten, also tun sie es auch. Sind wir hier außer Schussweite?«
»Nein«, antwortet Cal. »Jedenfalls nicht außer Schussweite der Gewehre.«
»Das Fenster im Zimmer der Jungs wurde zerschossen«, bestätigte Cate leise, plötzlich war das Grauen wieder da. Und wenn sie hier gewesen wären? Sie hätten Todesängste ausstehen müssen, wären möglicherweise verletzt ... oder sogar tot. Allein der Gedanke bewirkte, dass sich ihr Herz zusammenkrampfte.
»Was tun wir dann hier?«, fragte Walter.
»Wir sehen zu, dass so viele Wände wie möglich zwischen uns und ihnen sind, außerdem bin ich ziemlich sicher, dass sie entweder Nachtsichtgeräte oder Infrarot-Zielfernrohre benutzen. Die Infrarotgeräte funktionieren nur auf vierhundert Meter, wir müssen also so weit wie möglich zurück. Das hält zwar die Kugeln nicht auf, aber zumindest können sie uns nicht anvisieren, und vielleicht wollen sie ihre Munition nicht verschwenden.«
Während Cal Walters Frage beantwortete, legte er ihr die Hand auf den Rücken und schob sie mit sanftem Druck nach draußen. Sobald sie auf die Veranda trat, blieb sie erschrocken stehen. Um die zwanzig oder dreißig Menschen hatten sich hinter ihrem Haus versammelt, die meisten hockten auf dem kalten Boden. Praktisch jeder Mann und so manche Frau war bewaffnet. Die Dunkelheit umschloss sie und machte Cate schmerzlich bewusst, welches Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit ihr die Lichter in den Fenstern der Häuser ringsum vermittelt hatten.
Cal schob sie von der Veranda; dann drückte er sie auf den Boden. »Die Fundamente sind aus Stein«, erklärte er ruhig. »Sie bieten mehr Schutz als die Holzwände.« Mit erhobener Stimme erklärte er: »Hört mal alle her, wir müssen mit den Batterien in den Taschenlampen sparsam umgehen. Schaltet sie möglichst aus. Wir brauchen nur eine oder zwei.«
Gehorsam knipsten die Menschen in ihrer Nähe die Taschenlampen aus und wurden prompt von der Dunkelheit verschluckt. Cal ließ seine kräftige Taschenlampe angeschaltet. Cate begann zu bibbern, weil die kalte Nachtluft durch ihren Flanellpyjama drang, und wünschte sich, sie hätte daran gedacht, einen Mantel mitzunehmen. Irgendwo in der Dunkelheit hörte sie jemanden murmeln: »Mir ist kalt«, aber es klang nicht klagend.
»Als Erstes müssen wir zwei Dinge klären«, sagte Cal laut. »Wird jemand vermisst, und ist jemand verletzt?«
»Ich würde vor allem gern wissen, wer uns beschießt«, erklärte Milly wütend.
»Eins nach dem anderen. Wer ist nicht hier? Haltet nach euren Nachbarn Ausschau. Creed ist zu Neenah gelaufen; hat jemand von euch die beiden gesehen?«
Es blieb kurz still, dann sagte eine Stimme hinter Cate: »Als wir losgelaufen sind, war Lanora direkt hinter mir, aber jetzt kann ich sie nirgendwo entdecken.«
Lanora Corbett lebte von der Brücke aus gesehen im zweiten Haus links.
»Sonst noch jemand?«, fragte Cal.
Unter halblautem Gemurmel sahen sich alle um und zählten ab, dann fielen immer mehr Namen: die alten Starkeys, Roy Edward und seine Frau Judith; die Familie Contreras, Mario, Gena und Angelina; Norman Box; und noch mehr. Eine eisige Hand begann Cates Herz zu umklammern, als eine grauenvolle Befürchtung Gestalt annahm: Würde sie diese Menschen je Wiedersehen? Und Neenah. Neenah! Nein. Sie durfte ihre Freundin nicht verlieren. Sie weigerte sich, das für möglich zu halten.
»Na gut«, sagte Cal schließlich, als keine weiteren Namen genannt wurden.
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