Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
kriminellen Banden gehen. Wir haben Grund zu der Annahme, dass Kazan einer der Bosse der Gangster Lions ist. Das sage ich Ihnen hiermit im Vertrauen. Wir haben gerade eine Haussuchung bei ihm durchgeführt und Rauschgift in einem Wert von mindestens sechzehn Millionen Kronen gefunden. Eine der größten Beschlagnahmen in der Geschichte der Göteborger Polizei. Das können Sie morgen in der Zeitung lesen«, sagte sie.
Manchmal muss man zu Notlügen greifen. Der Zweck heiligt die Mittel und so weiter, dachte Irene. Der Arzt zog die Brauen hoch, und etwas in seinem Blick blitzte auf. Offenbar hatten ihn ihre Informationen nicht unberührt gelassen. Dass Kazan einer der Bosse sei, hatte Irene eigentlich nur behauptet, um ihrer Forderung, mit ihm sprechen zu dürfen, Nachdruck zu verleihen. Um noch einmal zu unterstreichen, wie wichtig das sei, fügte sie hinzu:
»Außerdem besteht der begründete Verdacht, dass Kazan an dem bestialischen Mord von letzter Woche beteiligt war, als ein Mann mit Benzin übergossen und angezündet wurde.«
Dr. Enkvist zuckte zusammen. Sein Blick flackerte. Der Mord an Patrik Karlsson rief bei den meisten Leuten nach wie vor größte Abscheu hervor. Irene beschloss, dem Arzt keine Gelegenheit zu bieten, weitere Gegenargumente vorzubringen, und fuhr rasch fort:
»Sie können gerne dabei sein, während ich ihn vernehme. Kazan besitzt Informationen, die uns helfen könnten, einen oder mehrere Mordfälle zu lösen und zu verhindern, dass weitere Menschen ermordet werden.«
Enkvist schluckte und räusperte sich nervös. Der Stuhl, auf dem er saß, schien plötzlich unbequem zu sein. Er rückte betreten hin und her. Dann holte er tief Luft und sagte:
»Okay. Ich bin während des Gesprächs anwesend, und Sie beenden es, sobald ich Bescheid sage. Sonst fliegen Sie raus!«
Na dann viel Glück, dachte Irene und versuchte, sich ihren Triumph nicht anmerken zu lassen.
Im Krankenzimmer roch es durchdringend nach Schweiß und Urin. Handsome machte seinem Namen keine Ehre mehr. Sein Gesicht war grau, und sein Haar klebte an der Kopfhaut. Niemand hätte Lust gehabt, ihm mit der Hand durch die Locken zu fahren. Seine Bartstoppeln leuchteten blauschwarz auf der bleichen Haut, die hier und da rote Flecken hatte. Nur die Schatten seiner Wimpern, die auf seine hohen Wangenknochen fielen, ließen erahnen, dass er ein schöner Mann war. Seine Hände lagen friedlich auf der gelben Frotteedecke gefaltet. Kleine, hübsche Hände mit gepflegten Fingernägeln, dachte Irene. Eine Morini CM Kaliber 22 RF passte zu jemandem mit kleinen Händen perfekt, hatte Matti gesagt.
Der Teil seines Oberkörpers, der oberhalb der Decke zu sehen war, war mit Elektroden bedeckt. Die dünnen Kabel führten zu einem EKG -Apparat. Auf einem Monitor über dem Bett wurde der Herzrhythmus graphisch dargestellt. Sogar Irene fiel auf, dass die Kurve zwei Spitzen in rascher Folge aufwies. Das musste die Arrhythmie sein, von der Enkvist gesprochen hatte. An dem einen Zeigefinger saß eine Plastikklammer, mit der, das wusste Irene, der Blutdruck gemessen wurde. Über der EKG -Kurve standen die Werte: 92/50. Sehr niedrig. An einem Gestell neben dem Bett hing eine Tüte mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, die langsam infundiert wurde. Eine elastische Binde bedeckte die Kanüle in Kazans linkem Handrücken. Die rechte Hand war von zahllosen Einstichen bereits vollkommen blau.
Dr. Enkvist beugte sich über die reglose Gestalt im Bett und berührte vorsichtig ihre Schulter.
»Kazan? Sind Sie wach?«, fragte er überraschend milde.
Die langen Wimpern zuckten leicht, und nach einer Weile öffnete Kazan die Lider einen Spalt. Er blinzelte einige Male und murmelte etwas Unverständliches. Plötzlich öffnete er die Augen ganz und sah sie an. In seinen weit geöffneten Augen stand reiner Schrecken, und er versuchte eine abwehrende Handbewegung zu machen. Es rasselte leicht, als der Infusionsständer schwankte.
»Nur ruhig, Kazan. Ich bin es, Dr. Enkvist. Ich bin Ihr behandelnder Arzt. Wie geht es Ihnen?«
Immer noch derselbe freundliche Tonfall, der seine Wirkung nicht verfehlte. Nach einer Weile schwand die Angst aus seinem Blick. Er sah Irene direkt an.
»Hallo, Kazan. Ich heiße Irene Huss und bin Polizistin. Ich habe ein paar Fragen, die Sie mir hoffentlich beantworten können.«
»Fuck … off«, brachte er mit Mühe über die Lippen.
Dann drehte er demonstrativ den Kopf zur Seite. Mit seinem Hinterkopf zu sprechen hatte keinen Sinn.
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