Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
Identität zu versprechen, aber das schien Kazan in seinem benebelten Zustand nicht zu begreifen.
»Patrik … dachte … er würde … an eine andere Gang verkaufen.«
»Nicht an die Gangster Lions?«, fragte Irene verblüfft.
»Nein … verdammt … nein … Latin Kings.«
Irene glaubte, den Namen schon einmal gehört zu haben, aber es dauerte ein paar Sekunden, bis sie ihn einordnen konnte. Die Latin Kings waren eine relativ neue Gang, die während der letzten zwei Jahre in den westlichen Vororten ihr Unwesen trieb, ihre Mitglieder hauptsächlich Südamerikaner und ein paar Versprengte anderer Herkunft, vor allem vom Balkan.
»Fendi und Sie behaupteten also, den Latin Kings anzugehören. Sie verabredeten sich mit Patrik, um Rauschgift zu kaufen, und trafen sich in dem Haus in der Kolgruvegatan. Habe ich das richtig verstanden?«
Er nickte und schloss die Augen, als wollte er zu verstehen geben, dass die Unterhaltung, was ihn betraf, beendet sei. Unbarmherzig fuhr Irene fort:
»Aber wo hatte Patrik den Stoff her?«
»Enrico … Gonzales.«
Es überraschte Irene sehr, dass er den Großdealer Enrico Gonzales in diesem Zusammenhang nannte. Er und sein Kumpan David Angelo waren erschossen in einem großen Segelboot im Jachthafen der Halbinsel Getterön vor Varberg gefunden worden. Wahrscheinlich waren sie am Morgen des 1. Mai ermordet worden, einem Sonntag. Das lag jetzt fast vier Monate zurück. Da die Segelsaison noch nicht begonnen hatte, lagen damals keine anderen Boote im Gästehafen. Die Bewohner der Häuser in Hafennähe hatten nichts gesehen oder gehört. Beide Männer waren mit mehreren Schüssen aus einer automatischen Waffe erschossen worden. Im Boot fand man zwei Verstecke. Das eine war leer, das andere enthielt mehrere Kilo Kokain. Alles deutete auf ein schiefgelaufenes Geschäft hin. Man hatte Gonzales und Angelo das Rauschgift gestohlen, das in dem leeren Versteck gelegen hatte, das andere Versteck hatten die Täter nicht gefunden. Ein Zeuge meinte jedoch, er sei später von dem Geräusch schwerer Motorräder geweckt worden. Das war um drei Uhr morgens, am Sonntag, den 1. Mai.
Das Rauschgiftdezernat und die Bezirkspolizeibehörde Halland waren mit dieser Ermittlung befasst, hatten jedoch bislang nichts erreicht. Den ganzen Sommer über gab es keine Hinweise. Eventuelle Zeugen schwiegen aus Angst. Hatte der Rockerkrieg in Wirklichkeit schon zu jenem Zeitpunkt begonnen?
»Patrik gelangte durch den Mord an Gonzales und Angelo also in den Besitz von zwei Kilo Kokain. Er wollte verkaufen. Warum wollte er nicht, dass der Gothia MC den Stoff bekommt?«, fragte Irene.
»Er brauchte … Geld. War den Rockern Geld schuldig.«
Es war nicht ungewöhnlich, dass die Mitglieder der Rockerclubs bei der eigenen Bande Schulden machten, die sie nicht zurückzahlen konnten. Stattdessen mussten sie dann Aufgaben erledigen, an denen sich die anderen die Hände nicht dreckig machen wollten. Mord beispielsweise. Offenbar hatte Patrik den Fehler begangen, sich zu verschulden, sicherlich Drogenschulden.
»Aber wie kamen Sie mit ihm in Kontakt? Kannten Sie ihn schon vorher?«
»Nein … verdammt … Fendi. Fendi kaufte früher bei Patrik … Freunde.«
»Wusste Patrik, dass Fendi Mitglied der Pumas, der Supportergruppe der Gangster Lions, ist?«
Kazan schüttelte kaum merklich den Kopf. Irene fuhr fort:
»Patrik trug Fendi also zu, dass er eine Menge Kokain zu verkaufen habe. Dann erzählte Fendi es Ihnen. Sie beschlossen, so zu tun, als wollten Sie mit Patrik ins Geschäft kommen. Stimmt das?«
Aus den Augenwinkeln sah Irene, dass die EKG - Kurve zwei rasch aufeinanderfolgende Sprünge machte. Kazan schien das nicht zu bemerken.
»In etwa«, murmelte er.
»Aber Sie hatten nie vor, ihm Geld zu geben. Fendi und Sie schlugen ihn nieder und zündeten ihn an. Oder?«
Mit noch immer geschlossenen Augen nickte Kazan und sagte:
»Wir wollten ihn … nicht töten. Er … ein wahnsinnig großes … Messer.«
Patriks langes Messer mit dem Totenkopf hatte noch im Haus gelegen. Nur seine Fingerabdrücke hatten sich darauf befunden. Vielleicht sagte Kazan die Wahrheit.
Vielleicht hatte Irene die Ereignisse ja korrekt zusammengefasst, gleichzeitig hatte sie aber das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, und dann kam ihr sogar, was.
»Welchen Grund hätten die Gangster Lions, Drogen von einem Gothia- MC -Mitglied zu kaufen? Sie haben doch Ihre eigenen Lieferanten.«
Er begann leise zu lachen und öffnete wieder die Augen.
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