Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
gehört.«
»Kazan und Fendi waren also im Auftrag der Gangster Lions unterwegs?«
»Ja und nein … sie planten wohl, ihr eigenes Ding aufzuziehen. Als ich Kazan fragte, warum die Gangster Lions ihre Waren vom Gothia MC bezogen, antwortete er, dass er nicht für die Löwen gekauft habe, sondern für die Latin Kings. Da fragte ich, ob er zu den Latin Kings übergelaufen sei, aber das bestritt er ebenfalls und erwiderte, er gehöre keiner Gang an.«
»Er behauptete also indirekt, dass auch die Gangster Lions ihn bedrohten? In diesem Fall hätte er wirklich jeden erdenklichen Schutz benötigt.«
Eine Schwester öffnete die Tür und trat mit einem Tablett ein. Sie wünschte fröhlich einen guten Morgen und fragte Irene, ob sie Kaffee oder Tee wünsche. Natürlich könne ihr Besucher auch eine Tasse bekommen, fügte sie hinzu, als sie Tommys müdes Gesicht sah.
»Lass dich nicht beim Frühstück stören«, sagte er, als Irene eine Tasse Kaffee und zwei Käsebrötchen vor sich stehen hatte.
Hungrig aß Irene die beiden Brote und trank durs tig den Kaffee mit so großen Schlucken, dass sie schon befürchtete, sich den Gaumen zu verbrühen. Nach einer zweiten Tasse fühlte sie sich wieder halbwegs normal, von dem anhaltenden Schmerz im Hinterkopf einmal abgesehen. Sie fuhr fort:
»Er hat noch etwas Interessantes erwähnt. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, planen die Bosse des Gothia MC und der Gangster Lions am Donnerstag ein Treffen. Offenbar um über den eskalierenden Rockerkrieg zu sprechen. Er störe ihre Geschäfte, wie Kazan es ausdrückte.«
»Ach? Und wo soll dieses Treffen stattfinden?«, fragte Tommy und zog interessiert die Brauen hoch.
»Er sprach von einem Lokal namens Pravda. Offenbar liegt das in Gårda.«
Ihr Chef sah nachdenklich aus. Zögernd erwiderte er:
»Es könnte mal ein Restaurant mit diesem Namen in Gårda gegeben haben … aber das existiert schon lange nicht mehr, falls es wirklich das Lokal ist, an das ich denke. Das marode Viertel soll abgerissen werden. Ich werde das überprüfen.«
»Er sagte etwas davon, dass es am Fünfundzwanzigsten knallt.«
Tommy wirkte verblüfft.
»Der Fünfundzwanzigste, das ist ja am Donnerstag«, meinte er schließlich.
»Genau. Ich musste an den Song von Magnus Uggla denken …«
Er begann die Melodie zu summen und erinnerte sich dann an den Text:
»… aber am Fünfundzwanzigsten knallt’s! Dann können einen alle gern haben, man ist König, König in der Bar!«
»Ja, an den Song habe ich auch gedacht. Ein richtiger Ohrwurm. Aber war die Anspielung Absicht? Sollte er seinen Lohn erhalten? Irgendeine Belohnung, vielleicht? Oder was hat er gemeint?«
»Weiß nicht. Fiel mir nur gerade ein.«
»Hm. Er wollte sich vielleicht nur aufspielen, indem er die Bedeutung des großen Treffens so betonte?«, schlug Tommy vor.
»Möglich«, erwiderte Irene.
Irgendwo in ihrem pochenden Kopf protestierte eine leise Stimme. Aber was sie ihr genau sagen wollte, verstand Irene nicht. Vielleicht versuchte ihr erschüttertes Gehirn auch nur wieder in den Normalmodus zurückzufinden. Alles Weitere mussten ohnehin ihre Kollegen im Laufe des Tages herausfinden. Sie wollte sich jetzt nur noch ausruhen.
Als Irene aus dem Krankenhaus entlassen wurde, holte Tommy sie ab und nahm sie in einem zivilen Dienstwagen geradewegs zu sich nach Hause in sein Reihenhaus mit. Den Kollegen im Dezernat würde er erzählen, sie ruhe sich bei einer guten Freundin aus. Alle, die Genaueres erfahren wollten, würde er besonders gut im Auge behalten. Sie wussten immer noch nicht, wer im Präsidium an den Gothia MC berichtete.
Im Haus war es still und kühl. Wolken zogen am Himmel auf, und die Meteorologen sagten für den Nachmittag Regen voraus. Irene versuchte Zeitung zu lesen, aber es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Der Mord an Kazan füllte die erste Seite der Göteborgs-Posten. »Mord in der Klinik!« lautete die fettgedruckte Schlagzeile. Darunter stand: »Opfer der Polizei bekannt.«
Irene zwang sich dazu, den Artikel zu lesen. Die Mörder waren zur Besuchszeit am Spätnachmittag gekommen. Das Personal machte zu der Zeit seine wohlverdiente Kaffeepause, ehe der Abenddienst begann. Die beiden Männer betraten das Foyer nicht gemeinsam, sondern im Abstand von ein paar Minuten. Der Mord wurde als sorgfältig geplant und besonders kaltblütig beschrieben. Einer der Täter war zunächst in das Zimmer eines an EKG und Sauerstoff angeschlossenen Herzpatienten eingedrungen,
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