Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
Kollegen kommen gleich. Und hier ist der Arzt«, sagte die Schwester.
In Irenes begrenztem Gesichtsfeld tauchte plötzlich Dr. Enkvists besorgte Miene auf. Obwohl Irene noch ziemlich benommen war, stellte sie fest, dass er zehn Jahre älter aussah.
»Man hat Sie mit einer Pistole niedergeschlagen. Sie haben eine Gehirnerschütterung«, sagte er.
Irene versuchte etwas zu erwidern, aber er hatte sich bereits der Schwester zugewandt.
»Wir behalten sie zur Beobachtung über Nacht hier«, sagte er mit Nachdruck.
»Aber wir haben keine Betten«, wandte die Schwester ein.
»Dann bleibt sie eben hier liegen«, entschied der Arzt.
»Aber ich muss …«, versuchte Irene mit schwacher Stimme einzuwenden.
»Im Augenblick müssen Sie gar nichts. Ein Blutgefäß könnte beschädigt sein, die Gefahr einer Gehirnblutung besteht. Das kann schnell gehen und ist lebensgefährlich. Wir müssen Sie hierbehalten«, sagte er und sah sie ernst an.
Übelkeit befiel Irene. Ohne dass sie etwas dagegen hätte unternehmen können, übergab sie sich. Die Schwester drückte ihr gerade noch rechtzeitig eine Nierenschale unters Kinn. Es kam nicht viel, da sie schon eine geraume Zeit nichts mehr gegessen hatte. Dafür war sie dankbar. Sie hatte keinerlei Hunger, war aber durstig. Wahnsinnig durstig. Sie musste wieder brechen.
Die Schwestern sahen regelmäßig bei ihr nach dem Rechten. Erst in den frühen Morgenstunden ließen sie sie einschlafen. Ihre Pritsche war unbequem, aber sie schlief trotzdem tief. Das Erwachen war nicht sonderlich erfreulich. Ihr Kopf fühlte sich an wie nach einem redlichen Besäufnis, von der Beule im Nacken mal abgesehen.
Als sie wieder richtig zu sich kam, war es bereits halb acht, und Tommy stand neben ihrer Pritsche. Er wirkte ernst.
»Bist du wach? Wie geht es dir?«, fragte er.
Irene versuchte ihre trockenen Lippen mit der Zungenspitze zu befeuchten, allerdings mit lausigem Resultat. Ihre Zunge fühlte sich an, als sei sie mit Sandpapier überzogen, ihre Mundhöhle ebenfalls. Schließlich gelang es ihr, krächzend zu sagen:
»Wach, ja, Zustand lausig.«
»Ich verstehe. Der Arzt sagt, dass du dich mindestens einen oder zwei Tage nicht bewegen darfst. Keine Diskussion«, meinte Tommy, als er sah, dass sie protestieren wollte.
Irene merkte selbst, dass sie nicht in der Lage war zu arbeiten. Besser ausruhen und dann anschließend richtig durchstarten, redete sie sich ein.
Nachdem sie etwas Wasser getrunken hatte, verspürte sie plötzlich einen wahnsinnigen Hunger. Sie hörte Stimmen und Geschirrklappern auf dem Korridor. Ein verheißungsvoller Kaffeegeruch drang ins Zimmer. Vielleicht war das aber auch nur eine Halluzination. Aber gegen ein Frühstück hatte sie jetzt wirklich nichts einzuwenden.
»Wie geht’s Kazan?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits wusste.
»Sie haben ihn erschossen. Er war sofort tot«, sagte Tommy leise.
Irene schloss die Augen und stöhnte laut. Der einzige Zeuge, der sich bislang zu einer Aussage bereit erklärt hatte, war ermordet worden. Noch dazu vor ihren Augen. Aber das stimmte nicht ganz, sie konnte sich nicht daran erinnern, dass Kazan erschossen worden war. Es musste passiert sein, als sie das Bewusstsein verlor, oder kurz danach.
»Was ist geschehen? Was hat er gesagt?«, fragte Tommy.
Irene berichtete von dem Vorfall, soweit sie sich daran erinnerte, und fasste dann zusammen, was Kazan gesagt hatte. Als sie ihm von Kazans Geständnis des Mordes an Patrik Karlsson berichtete, hellte sich Tommys bekümmerte Miene etwas auf. Die Information, dass das gefundene Koks in Zusammenhang mit dem Raubmord in Varberg stand, überraschte auch ihn:
»Wow. Die erste konkrete Spur in dem Doppelmordfall! Die Kollegen in Halland werden sich freuen. Die Mörder kamen also vom Gothia MC . Aber warum brachten Kazan und Fendi Patrik Karlsson um?«
»Laut Kazan war das eigentlich nicht beabsichtigt. Er sagt, Patrik habe plötzlich ein Messer gezogen.«
Um zu erfahren, was wirklich geschehen war, mussten sie Fendi Göks finden. Und der war immer noch wie vom Erdboden verschluckt.
»Wollte Kazan deswegen eine geschützte Identität? Weil er Angst hatte, dass sich der Gothia MC für den Mord an Patrik Karlsson rächte?«, fragte Tommy.
»Ja. Die gestohlenen Drogen stellen aber einen mindestens ebenso guten Grund dar. Der Gothia MC weiß zwar noch nichts davon, aber er wird bald von seinem Informanten davon erfahren. Sie werden der Meinung sein, dass das Koks ihnen
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