Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
hatte sämtliche Kabel und Schläuche entfernt und damit Alarm ausgelöst. Der ältere Patient konnte sich später nur vage an einen schwarz gekleideten Mann erinnern. Das gesamte Pflegepersonal war in das Zimmer gestürzt, und niemand hatte die Männer auf dem Korridor bemerkt. Wahrscheinlich hielten sie sich in dem Untersuchungszimmer versteckt, in dem Irene später die Nacht verbracht hatte. Dann schlichen sie in Kazans Zimmer. Dass sich auch Irene darin befand, stellte zwar eine Komplikation dar, hinderte sie aber nicht an der Durchführung ihres Plans. Außerdem stand sie mit dem Rücken zur Tür und hatte die beiden Männer daher nicht gesehen. Kazan starb nach zwei Schüssen in den Kopf. Wahrscheinlich hatte der Schütze einen Schalldämpfer verwendet. Eine Schwester sah zwei Männer aus Kazans Zimmer eilen und die Treppe hinunter verschwinden, konnte jedoch nur erkennen, dass sie Jeans, schwarze Pullis und Kapuzen getragen hatten. Die Polizei war noch damit beschäftigt, die Filme der Überwachungskameras auszuwerten, doch ein weißer Volvo C30 hatte bereits ihre Aufmerksamkeit geweckt. Der Wagen hatte den Krankenhausparkplatz mit hoher Geschwingigkeit verlassen und wäre dabei fast mit einem Kran kenwagen zusammengestoßen. Die Sanitäter er kannten auf Fahrer- und Beifahrersitz zwei dunkel gekleidete Männer. Beide etwa Mitte zwanzig, Kapuzen tief in die Stirn gezogen. Einer wurde als kleiner und stämmiger als der andere beschrieben. Das Auto war vermutlich am frühen Nachmittag vor dem Einkaufszentrum Allum in Partille gestohlen worden. Die Polizei bat um Hinweise zu den beiden Männern und dem Fahrzeug. Am Ende des Artikels stand die Telefonnummer, die man im Falle sachdienlicher Hinweise wählen konnte.
Hoffentlich war etwas Brauchbares dabei, dachte Irene, ehe sie mit der Zeitung auf der Brust auf dem Sofa einschlief.
Irene wurde vom Klingeln ihres Handys geweckt. Schlaftrunken tastete sie danach auf dem Couchtisch und drückte dann die Taste mit dem grünen Telefonhörer. Noch ehe sie das Handy ans Ohr hielt, bemerkte sie jedoch, dass es gar nicht geklingelt hatte. Das Display war schwarz, und es klingelte immer noch. Es dauerte einige Sekunden, bis Irene begriff, dass es ihr neues Handy mit der Prepaidkarte war. Glücklicherweise lag es ebenfalls auf dem Tisch.
»Hallo, Liebling«, hörte sie Kristers Stimme, noch ehe sie etwas sagen konnte.
»Hallo«, krächzte Irene mit schwacher Stimme.
Sie schielte auf ihre Armbanduhr. Es war Viertel nach zwölf.
»Bist du erkältet?«
Irene räusperte sich einige Male und antwortete dann:
»Nein. Nur eben erst aufgewacht. Ich … ich habe heute Nacht gearbeitet.«
Sie wollte Krister und die Mädchen nicht mit den Ereignissen des Vortags beunruhigen.
»Gut, dass du dich zwischendurch immer wieder ausruhst. Ich wollte nur anrufen und fragen, ob es dir gut geht, und dir sagen, dass du uns fehlst. Und dass ich dich liebe.«
»Ihr fehlt mir auch. Sehr sogar. Und ich liebe dich. Auch sehr.«
Jetzt hatte sie wieder diesen verdammten Kloß im Hals. Eigentlich wollte sie nur noch heulen und sich alles von der Seele reden. Obwohl es ihr bei näherem Nachdenken in der Tat etwas besser ging. Der Schmerz im Hinterkopf war nicht mehr so intensiv.
»Wir setzen jetzt unsere Reise fort, und du kannst uns dann frühestens wieder am Freitagabend erreichen«, fuhr Krister fort.
»Gut«, antwortete Irene.
Angesichts der momentanen Lage war das wirklich gut, aber gefühlsmäßig war es eine Katastrophe, dass sie ihre Familie fast vier Tage lang nicht würde erreichen können. Sie biss jedoch die Zähne zusammen. Sie hatte nicht vor, ihre Gefühle zu verraten. Der verdammte Klumpen weigerte sich jedoch zu verschwinden.
»Kuss, Liebling. Die Mädchen und Felipe umarmen dich. Und Egon.«
»Ich umarme euch auch alle«, sagte Irene und versuchte munter zu klingen.
Als sie die Verbindung unterbrach, kamen die Tränen.
Als Irene zum zweiten Mal vom Klingeln des Handys erwachte, lag sie in einem Bett, und es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass sie sich in Tommys Gästezimmer befand. Vor dem Fenster ging ein feiner Sprühregen nieder, und auch im Haus schien es etwas feucht zu sein. Dieses Mal erklang »Mercy« im Zimmer, was bedeutete, dass ihr normales Handy klingelte. Auf dem Display erschien ein Name, der ihr sehr vertraut war.
»Hallo, Hannu«, sagte sie fröhlich.
»Hallo. Wie geht es dir?«
»Besser, danke.«
Hannu Rauhala rief nicht einfach nur an, um zu
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