Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
plaudern. Sie wusste, dass er gleich auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen kommen würde.
»Ich sollte mir ja bestimmte Dinge genauer ansehen«, begann er.
»Genau.«
»Ich glaube, ich bin da auf etwas gestoßen. Aber ich muss mir noch einige Dinge bestätigen lassen.«
Irenes Spannung nahm zu, und sie war plötzlich hellwach.
»Was gibt’s?«, fragte sie neugierig.
»Unerwartete Verbindungen«, antwortete er nach einigen Sekunden.
Hannu verschwendete keine Worte. Manchmal ärgerte sich Irene darüber. Auch jetzt. Als ahnte er ihre Frustration, fuhr er fort:
»Ich muss mir erst hundertprozentig sicher sein. Bist du morgen bei der Arbeit?«
»Ja. Ganz sicher«, antwortete Irene mit größerer Überzeugung in der Stimme, als sie eigentlich empfand.
»Die Morgenbesprechung ist um acht. Kannst du um halb acht bei mir vorbeischauen?«
»Klar. Willst du mir nicht jetzt schon etwas verraten?«
»Nein. Es ist besser so. Falls ich auf der falschen Spur sein sollte«, meinte Hannu mit Nachdruck.
Was nicht der Fall ist, denn dann hättest du nicht angerufen. Aber du brauchst zum Hosenträger immer auch noch den Gürtel, dachte Irene. Vielleicht auch richtig so, denn offenbar ging es um sehr brisante Informationen.
»Dann sehen wir uns morgen um halb acht in meinem Büro. Gute Besserung«, sagte er.
»Okay. Danke«, seufzte Irene.
Dieser Typ! Niemand konnte so gut den Mund halten wie Hannu. Aber deswegen hatte sie ihn ja auch zu ihrem Verbündeten ausersehen. Sie schaute auf die Uhr. Es war kurz vor halb sechs. Vor fast genau vierundzwanzig Stunden hatte sie das Östra Sjukhuset betreten. Das schien eine Ewigkeit zurückzuliegen.
Als Tommy nach Hause kam, lag Irene auf der Couch vor dem Fernseher und sah sich lustlos eine Episode »Inspector Barnaby« an, die sie schon mindestens zweimal gesehen hatte. An dieser Serie gefielen ihr nicht etwa die intelligenten Plots, denn davon konnte kaum die Rede sein, sondern die wunderbaren Schauplätze, die kleinen englischen Dörfer mit ihren pittoresken alten Häusern und den wunderbar gepflegten Gärten. Die Protagonisten waren häufig Adlige. Hinter idyllischen Fassaden passierten fürchterliche Verbrechen. Die Leute starben wie die Fliegen. Davon abgesehen fand Irene es tröstlich sich vorzustellen, in einem funkelnden Jaguar herumzufahren und sich mit Leuten zu unterhalten, ohne befürchten zu müssen, mit einer Pistole niedergeschlagen, sondern stattdessen von freundlichen Dorfbewohnern zu Tee und Scones mit selbstgemachter Marmelade eingeladen zu werden. Im Augenblick erschien ihr dieses Szenario traumhaft.
Ein Blick in Tommys Gesicht bestärkte sie in dieser Auffassung. Obwohl ihm niemand eins übergezogen hatte, wirkte er einer Ohnmacht nahe.
»Hallo. In der Küche gibt es Pizza. Und hier sind die Tabletten, die ich für dich kaufen sollte«, sagte er ohne größere Begeisterung.
Ein Röhrchen Paracetamol rollte auf dem Couchtisch auf sie zu. Tommy ließ sich in einen durchgesessenen Sessel fallen und lehnte den Kopf zurück. Er schloss sofort die Augen und schien schon einzuschlafen.
»Danke der Nachfrage. Viel besser. Die Beule im Nacken ist etwas kleiner, tut aber wahnsinnig weh, wenn ich sie versehentlich berühre. Aber die Kopfschmerzen haben nachgelassen. Es ist also alles so weit okay. Vielen Dank, dass du die Tabletten gekauft hast«, sagte Irene.
Ohne die Augen zu öffnen, erwiderte Tommy:
»Gut. Dann kannst du morgen wieder arbeiten. Du wirst wirklich gebraucht. Das hier ist, verdammt nochmal, wirklich das Schlimmste, was ich in allen Jahren im Dienst erlebt habe!«
Er seufzte und rieb sich die Augen.
»Und das willst du jemandem mit akuter Gehirnerschütterung zumuten?«, meinte Irene vorwurfsvoll.
Sie legte den Kopf lächelnd zur Seite. Früher hatte sie ihn mit leichtem Spott immer aufmuntern kön nen. Normalerweise funktionierte das, aber im Augenblick zweifelte sie an dem gewünschten Effekt. Tommy warf ihr nur einen müden Blick zu und murmelte:
»Du bist vermutlich nach diesem höllischen Tag fitter als ich.«
»So ein Tag war das also?«, erwiderte Irene.
»Genau.«
»Erzähl.«
»Okay. Aber können wir gleichzeitig essen? Ich habe einen wahnsinnigen Hunger.«
Er erhob sich ungelenk und ging Richtung Küche. Irene merkte, dass auch sie hungrig war. Seit dem Frühstück in der Klinik hatte sie nichts mehr gegessen. Vorsichtig stand sie auf und folgte ihm langsam. Die Pizzakartons standen auf der Anrichte. Tommy schaute in den
Weitere Kostenlose Bücher