Im Schutz der Schatten: Roman (German Edition)
alle Spuren zu verwischen.«
Eine kurze Stille entstand.
»Die Mörder sind also sofort losgefahren und haben in der Nähe des Foyers geparkt. Dann haben sie mit anderen Besuchern das Krankenhaus betreten. Sie wussten, dass wir Kazan noch nicht bewachten«, meinte Irene nachdenklich.
»Und zwar von Stefan«, meinte Tommy düster.
Irene fiel etwas ein.
»Du hast Hannu erwähnt. Hat er dir gegenüber eine neue Erkenntnis im Zusammenhang mit der Ermittlung erwähnt?«, fragte sie.
»Nein. Von der SMS , deren Absender sich nicht ermitteln ließ, hat er mir gegen sechs erzählt. Danach habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Hm. Ich habe ihn gestern, bevor ich zu Kazan nach Hause fuhr, gebeten, einige Sachen für mich zu überprüfen. Und es scheint, als habe er etwas gefunden. Er rief mich vorhin an. Wir sind morgen um halb acht verabredet. Aber er wollte mir am Telefon nicht erzählen, was er herausgefunden hat.«
Tommys düstere Miene hellte sich etwas auf.
»Hannu ist wie eine Bulldogge, die sich verbeißt. Hat er erst mal Witterung aufgenommen, dann lässt er nicht mehr locker. Hat er nicht mal angedeutet, worum es geht?«
»Nein.«
»Typisch Hannu«, meinte Tommy mit einem schwachen Lächeln.
D er Lauf der Pistole drückte sich fester und fes ter in ihren Nacken. Sehnen und Knorpel knackten, bald würde sie die Schmerzen nicht mehr aushalten können. Sie sah in Kazans bleiches Gesicht mit den weit aufgerissenen Augen. Er drückte sich ins Kissen, ein verzweifelter Versuch zu entkommen. Seine Lippen bewegten sich, aber sie hörte seine Worte nicht. Der Schmerz in ihrem Nacken war unerträglich. Sie wusste, dass gleich ein Schuss fallen würde. Das konnte sie an seinem entsetzten Blick ablesen. Er wusste, dass sich der Tod unerbittlich näherte. Der Schuss war eine Explosion in Purpurrot und blendend Weiß. Aber nicht der Kopf auf dem Kissen platzte, sondern ihr eigener.
Mit klopfendem Herzen erwachte Irene und starrte in die Dunkelheit. Erst wusste sie nicht, wo sie sich befand, aber dann merkte sie, dass sie immer noch in Tommys Gästebett lag. Das Unbehagen des Alptraums dauerte an, nicht zuletzt aufgrund der Schmerzen im Nacken. Sie lag auf dem Rücken, und eine Unebenheit des Kissens drückte auf die Beule. Tommy hatte ihr eine Tube mit einer betäubenden Salbe gegeben, die eines seiner Kinder im Badezimmerschrank vergessen hatte. Stöhnend setzte sie sich im Bett auf. Es gelang ihr, die Tube im Durcheinander auf dem Nachttisch zu finden. Sie rieb die Beule mit einer großzügigen Menge Creme ein. Es war fast halb vier, und sie hatte das Gefühl, nicht wieder einschlafen zu können. Vorsichtig drehte sie sich auf die Seite und wartete auf die Morgendämmerung. Vielleicht schlummerte sie dann doch halb ein, denn sie hatte eine diffuse Erinnerung, Stefan Bratts Gesicht vor sich gesehen zu haben, ummittelbar bevor ihr Handywecker klingelte.
Ein Blick auf Tommy verriet Irene, dass nicht nur sie schlecht geschlafen hatte. Es ist im Moment für uns alle etwas viel, dachte sie. Besonders für mich. Den aufblitzenden Gedanken an ihre Familie schob sie schnell wieder weg. Wenn sie zu viel über die Bedrohung ihrer Familie und ihrer eigenen Person nachdachte, lähmte sie das nur. Doch die Bedrohung war allgegenwärtig und lauerte in ihrem Unterbewusstsein. Wie sollten sie je wieder ein normales Leben führen können? Im Augenblick sah es vollkommen hoffnungslos aus. Die Banden kämpften um Einfluss und Macht. Und die Zahl der Opfer ihrer Gewalt, von Erpressungen, Drogenhandel, Prostitution und Menschenhandel, nimmt stetig zu, dachte Irene. Von den Angehörigen ganz zu schweigen. Solange es Menschen gibt, die bereit sind, für die Dienste und Waren der Banden zu bezahlen, wird ihre Macht nur noch weiter zunehmen. Wo schnelles Geld lockt, da blüht das organisierte Verbrechen. Eine verfahrene Situation, da die Nachfrage nach billigen Arbeitskräften, Sex, Schmuggelzigaretten und Drogen nicht weniger zu werden scheint, dachte Irene düster.
»Du siehst aber deprimiert aus«, meinte Tommy.
»Du wirkst auch nicht gerade taufrisch«, erwiderte Irene.
»Autsch! Aber immerhin habe ich einen besonders starken Kaffee aufgesetzt.«
»Du weißt, was man einer Frau bieten muss«, antwortete sie bemüht, um von ihrer Bissigkeit abzulenken.
»Das habe ich schon öfter gehört«, meinte Tommy mit einem vielsagenden Lächeln.
Während ihrer gemeinsamen Woche war ihr aufgefallen, dass er richtig charmant sein konnte, wenn
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