Im Sog der Angst
lächelte sie an. »Hier ist ein Standfoto, Ms. Paxton.« Er zeigte ihr die Aufnahme der toten jungen Frau.
Eileen Paxtons Blick blieb ungerührt, aber ihre Lippen bewegten sich. »Ist das die, die zusammen mit Gavin gefunden wurde?«
»Erkennen Sie sie, Ma’am?«
»Nein, aber das hat nichts zu sagen. Ich habe geglaubt, Gavin wäre mit seiner Freundin gefunden worden. Der Kleinen mit der Hakennase. Das hat Sheila mir jedenfalls gesagt.«
»Ihre Schwester vermutete das«, erwiderte Milo. »Eine plausible Vermutung, aber sie hat sich geirrt. Das ist einer der Gründe, weshalb wir hier sind.«
Er hielt das Foto nach wie vor in Eileen Paxtons Blickfeld. »Sie können das wegnehmen«, sagte sie.
»Ist Mr. Quick aus Atlanta zurück?«
»Er schläft. Sie schlafen beide.«
»Wann sind sie Ihrer Ansicht nach verfügbar?«
»Wie soll ich das wissen? Das ist eine schreckliche Zeit für die ganze Familie.«
»Ja, das ist es, Ma’am.«
»Diese Stadt«, sagte Paxton. »Diese Welt.«
»Okay dann«, sagte Milo. »Wir kommen später noch mal vorbei.«
Wir wandten uns ab, um zu gehen, und Eileen Paxton begann die Tür zu schließen, als eine Männerstimme im Innern des Hauses fragte: »Wer ist da draußen, Eileen?«
Die Tür war zur Hälfte geschlossen, als Paxton etwas sagte, das nicht zu verstehen war. Die Erwiderung der Männerstimme klang scharf. Lauter. Milo und ich drehten uns zum Haus um. Ein Mann kam mit dem Rücken zu uns heraus und sagte in Richtung Tür: »Ich muss nicht beschützt werden, Eileen.«
Gedämpfte Antwort. Der Mann schloss die Tür, fuhr herum und starrte uns an. »Ich bin Jerry Quick. Irgendwelche Neuigkeiten, was den Mord an meinem Sohn betrifft?«
Er war hoch gewachsen, dünn, hatte abfallende Schultern und trug einen marineblauen Pullover mit rundem Halsausschnitt, eine beigefarbene Hose und weiße Nikes. Sich lichtende graue Haare waren nachlässig gekämmt. Sein Gesicht war lang, hohlwangig und von tiefen Falten durchzogen. Bläuliche Flecken färbten die runzlige Haut unter weit auseinander stehenden blauen Augen. Seine Lider hingen herunter, als hätte er Schwierigkeiten, wach zu bleiben.
Wir gingen zurück zur Tür. Milo streckte die Hand aus. Quick schüttelte sie rasch, warf mir einen Blick zu und fragte: »Haben Sie schon irgendeine Spur?«
»Leider nein. Falls Sie für uns Zeit haben …«<
»Natürlich habe ich das.« Quicks Lippen kräuselten sich, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. »Meine Manager- Schwägerin . Sie hat Spielberg einmal getroffen und glaubt, ihre Scheiße stinkt nicht - kommen Sie rein. Meine Frau ist völlig hinüber, unser Hausarzt hat ihr Valium gegeben. Er wollte mir auch ein Beruhigungsmittel verpassen, aber ich will lieber meine fünf Sinne beisammenhaben.«
Milo und ich setzten uns auf dasselbe blaue Sofa, und Jerome Quick ließ sich in einen nachgemachten Chippendale-Sessel fallen. Ich sah mir erneut die Familienfotos an. Wollte mir Gavin als etwas anderes vorstellen als das Ding in dem Mustang.
Lebend war er ein hoch gewachsener, dunkelhaariger, freundlich aussehender Junge mit dem langen Gesicht und den weit auseinander stehenden Augen seines Vaters gewesen. Dunklere Augen als die seines Vaters - graugrün. Auf manchen der früheren Bilder trug er eine Brille. Sein Modegeschmack änderte sich nicht. Adrette Klamotten mit Designerlogos. Kurze Haare, entweder ein konservativer Bürstenschnitt oder behutsam zu einer Igelfrisur gegelt. Ein normaler Junge mit einem zurückhaltenden Lächeln, nicht hübsch, nicht hässlich. Wenn man über irgendeine Vorortstraße flaniert, ein Einkaufszentrum, ein Multiplex-Kino oder ein Universitätsgelände aufsucht, wird man Dutzenden von seinesgleichen begegnen. Seine Schwester - die Jurastudentin in Boston - war unattraktiv und machte einen ernsten Eindruck.
Quick fiel auf, wo ich hinsah. »Das war Gav.« Seine Stimme kippte. Er murmelte eine Verwünschung vor sich hin und sagte: »Gehen wir an die Arbeit.«
Milo bereitete ihn auf die Fotografie vor und zeigte sie ihm dann.
Quick tat sie mit einer Handbewegung ab. »Die hab ich noch nie gesehen.« Er richtete die Augen auf den Teppichboden. »Hat meine Frau Ihnen von dem Unfall erzählt?«
»Ja, Sir.«
»Erst das und jetzt dies hier.« Quick sprang auf, ging zu einem imitierten Chippendale-Beistelltisch, musterte eine Zeit lang eine Kristalldose, bevor er sie aufmachte, eine Zigarette herausholte und sie mit einem dazu passenden Feuerzeug
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