Im Sog der Angst
Aufklärung eines üblen, zwanzig Jahre alten Sexualmords hatte er einige persönliche Geheimnisse des Polizeichefs aufgedeckt. Der mittlerweile abgesetzte Chief hatte ihm ein Angebot gemacht: Milo würde im Gegenzug dafür, dass er darauf verzichtete, sie beide zu ruinieren, zum Lieutenant befördert, aber der Schreibtischjob, der normalerweise mit der Position eines Lieutenants einherging, bliebe ihm erspart. Im Exil eines eigenen Büros, weg von den anderen Detectives, wäre er ein Sonderfall: mit der Erlaubnis, sich seine Fälle auszusuchen, und unter der Bedingung, dass er sich zurückhielt und keine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Falls er Unterstützung brauchte, dürfte er jüngere Detectives hinzuziehen. Im Übrigen wäre er ganz auf sich gestellt.
Eine Hand wäscht die andere. Geschäftsleute und Regierungen machen so etwas die ganze Zeit. Milo wusste, dass er manipuliert wurde, und er hasste die Vorstellung. Er dachte daran, den Dienst zu quittieren - ein paar Augenblicke lang. Rückte davon ab, sich selbst zu zerstören, und freundete sich mit dem Gedanken an, dass Isolation Freiheit bedeuten könne. Ein höheres Gehalt einzustreichen war auch nicht schlecht, und solange der Chief am Ruder war, war sein Arbeitsplatz gesichert.
Jetzt war der Chief nicht mehr im Amt, und sein Nachfolger stand immer noch nicht fest. Zehn Kandidaten hatten ihre Ansprüche angemeldet, darunter ein Abteilungsleiter des Sozialamts, der seinen Namen ins Spiel brachte, nachdem er einer in San Francisco erscheinenden Zeitung ein Interview gegeben hatte, in dem er sich nach dreißig Jahre währendem Schweigen als Homosexueller outete und den Namen seines langjährigen Lebensgefährten bekannt gab.
Ich fragte Milo, ob das die Situation im Department ändern würde.
Er lachte. »Als Bergers Name auf der Liste landete, rollten die Augen so laut, dass man es in Pacoima hören konnte. Die Chance, dass er den Job bekommt, ist ungefähr so groß wie meine darauf, dass mir eine zweite Bauchspeicheldrüse wächst.«
»Trotzdem. Die Tatsache, dass er an die Öffentlichkeit gegangen ist.«
»Das gilt nur für die große Öffentlichkeit. Im Department wusste jeder seit Jahren über ihn Bescheid.«
»Oh«, sagte ich.
»Gemessen an der Zeit, als ich anfing, ist es heute anders«, erklärte er. »Niemand guckt komisch, niemand sagt etwas, niemand tut fiese Sachen in meinen Spind. Aber das Grundsätzliche - die Psychodynamik - wird sich niemals ändern, nicht wahr? Wie ich es sehe, sind die Menschen nun mal so gebaut, es liegt in unserer DNS. Wir - sie, jemand muss drinnen sein, jemand muss draußen sein. Alle paar Jahre müssen wir jemanden zusammenschlagen, um uns in unserer Haut wohl zu fühlen. Wenn die meisten Leute so wären wie ich, würden die Heteros stigmatisiert. Wahrscheinlich irgendeine evolutionäre Geschichte, obwohl ich nicht dahinter komme. Hast du einen weisen Spruch für mich auf Lager?«
»Ich hab die Weisheitspillen im Auto liegen lassen.«
Er lachte erneut auf diese freudlose Weise, die er perfektioniert hat. »Brutalität regiert. Mir wird die Arbeit nie ausgehen.«
Die Tür zu seinem Büro stand offen, und er saß an seinem Schreibtisch und las in einer Akte. Der Raum hat kein Fenster, ist kaum groß genug für ihn, an den Wänden hängt nichts, und auf dem Schreibtisch steht ein Bild von Milo und Rick. Beim Angeln irgendwo in Colorado. Sie tragen beide karierte Hemden und sehen aus wie zwei Naturburschen. Den größten Teil des Ausflugs hatte Milo an Höhenkrankheit gelitten.
Sein Computer war eingeschaltet, und sein Bildschirmschoner war ein Hai, der hinter einem Taucher herjagte. Jedes Mal, wenn das gefräßige Maul des Fischs gegen die Flossen des Tauchers stieß, bekam er einen Tritt verpasst. Eine auf und ab schwebende Inschrift versprach: KEINE GUTE TAT BLEIBT UNBESTRAFT.
Ich klopfte an den Türrahmen.
»Ja«, brummte er, ohne aufzublicken.
»Auch dir einen guten Tag. Wie sich rausgestellt hat, ist Gavin Quick nicht der erste Patient von Mary Lou Koppel, den ein frühes Ende ereilte.«
Er blickte auf, starrte mich an, als hätte er mich noch nie gesehen. Seine Augen wurden klar. Es war Gavins Akte. Er schlug sie zu.
»Was sagst du da?«
Ich sagte es ihm.
Ich saß auf einem Gästestuhl. Unsere Nasen waren einen Meter voneinander entfernt. Keine von Milos billigen Panatellas war in Sicht, aber sein Anzug roch nach schalem Tabakrauch.
»April letzten Jahres«, sagte er.
»Allison ist nicht ganz
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