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Im Sog der Angst

Im Sog der Angst

Titel: Im Sog der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Newsomes Häuserblock bestand aus bescheidenen, gut instand gehaltenen einstöckigen Häusern, von denen die meisten auf schnellstem Wege für nach Hause zurückkehrende Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg errichtet worden waren. Alte Orangen- und Aprikosenbäume erhoben sich über Redwood-Zäune. Riesige, vernarbte Ulmen, kopflastige Kiefern und nicht gestutzte Maulbeerbäume spendeten einigen der Grundstücke Schatten. Andere setzten sich unbedeckt unter dem unbarmherzigen Licht des Valley in Szene.
    Evelyn Newsomes neues Heim war ein erbsengrüner, stuckverzierter Bungalow mit einem neuen Schindeldach. Der Rasen bestand aus kurzen Stoppeln in der Farbe von Maisgrütze. Strelizien flankierten die Eingangstreppe. Eine Hollywoodschaukel hing auf der Veranda bewegungslos in der vor Hitze stehenden Luft.
    Eine Fliegentür versperrte den Eingang, aber die Holztür stand offen und gestattete ungehinderten Einblick in ein dunkles, niedriges Wohnzimmer. Evelyn Newsomes Tochter war vor zwei Jahren ermordet worden, und ihre Standardtelefonstimme war misstrauisch, aber auf einer gewissen Ebene hatte sie ihr Vertrauen noch nicht verloren.
    Bevor ich auf die Klingel drücken konnte, erschien ein großer, weißhaariger Mann Mitte siebzig und öffnete die Fliegentür.
    »Dr. Delaware? Walt McKitchen. Evelyn wartet hinten im Haus auf Sie.« Er hielt sich sehr gerade und hatte eine breite, purpurfarbene Nase und einen kleinen Mund in einem geröteten Gesicht. Trotz der Hitze trug er ein grau-blau gestreiftes Flanellhemd in einer grauen Bundfaltenhose aus Wolle.
    Wir gaben uns die Hand. Seine Finger waren mit Hornhaut überzogene Würste. Als er mich durch das Haus führte, hinkte er, und ich bemerkte, dass einer seiner Schuhe eine sieben Zentimeter hohe orthopädische Sohle hatte.
    Wir kamen durch ein winziges, ordentliches Schlafzimmer und betraten ein ähnlich kleines, gemütliches Zimmer, das später angebaut, mit astreichem Kiefernholz getäfelt und mit einem grünen Plüschsofa, Bücherregalen voller Taschenbücher und einem Breitbildfernseher eingerichtet war. Die Klimaanlage im Fenster machte keinen Muckser. Zwei Schwarzweißfotos hingen an der Wand. Eine Gruppenaufnahme eines Bataillons. Ein junges Paar, das vor genau diesem Haus stand, die Bäume frisch gepflanzte Setzlinge, statt des Rasens blanke Erde. Zur Rechten des Mannes stand ein Plymouth aus den Dreißigerjahren. Die Frau hielt ein VERKAUFT-Schild in der Hand.
    Evelyn Newsome saß auf dem Plüschsofa, rundlich und gebeugt, mit weißen Haaren und freundlichen blauen Augen. Auf dem Rotholztisch vor ihr standen eine Teekanne in einem Wärmer und zwei Tassen auf Untertassen.
    »Dr. Delaware«, sagte sie und erhob sich zur Hälfte. »Ich hoffe, Sie trinken nicht lieber Kaffee.« Sie klopfte auf das Sofakissen rechts neben sich, und ich setzte mich. Sie trug eine weiße Bluse, die einen kleinen Kragen mit runden Ecken hatte, und eine kastanienfarbene Stretchhose. Ihr Busen war ziemlich ausladend, und ihre Beine waren dünn; das Material der Hose war eher ausgebeult als elastisch.
    »Tee ist wunderbar, vielen Dank, Mrs. Newsome.«
    Sie goss uns ein. Auf den Tassen stand in Seidensiebdruck HARRAH’S CASINO, RENO, NEVADA.
    »Zucker? Zitrone oder Milch?«
    »Ohne alles, bitte.«
    Walt McKitchen war neben der Tür stehen geblieben. Evelyn Newsome sagte: »Ich komme zurecht, Schatz.«
    McKitchen sah mich prüfend an, salutierte und ging hinaus.
    »Wir sind in den Flitterwochen«, sagte sie lächelnd. »Mr. McKitchen besuchte seine Frau in dem Seniorenheim, wo ich wohnte. Nach ihrem Tod wurden wir Freunde.«
    »Meinen Glückwunsch«, sagte ich.
    »Vielen Dank. Ich habe nicht daran geglaubt, dass ich da wieder rauskommen würde. Arthritis. Nicht Osteoporose, was alle in einem gewissen Alter bekommen. Meine ist rheumatisch bedingt, eine Erbkrankheit. Ich habe mein ganzes Leben lang Schmerzen gehabt. Nach Floras Tod wurden sie immer schlimmer. Jetzt habe ich Gesellschaft, und mein Arzt hat mir ein neues Medikament verschrieben, und mir geht es prima. Die Moral von der Geschichte: Die Dinge können sich auch zum Besseren wenden.« Sie beugte die Finger und fuhr sich durchs Haar.
    Der Tee war lauwarm und fade, aber sie schloss verzückt die Augen. Als sie die Tasse wieder auf den Tisch stellte, sagte sie: »Ich hoffe auf ein paar gute Neuigkeiten zu meiner Flora.«
    »Wir beginnen gerade damit, den Fall neu aufzurollen.«
    Sie tätschelte mir die Hand. »Ich weiß, mein Lieber. Ich

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