Im Sog der Angst
er getan hat? Ich meine, wenn er gefährlich ist, sollte ich es dann nicht wissen?«
»Halten Sie ihn für potenziell gefährlich?«, fragte Milo.
»Was sind Sie«, entgegnete Lisa Nichols, »eine Art Psychofritze? Wegen der Scheidung waren wir bei so einem. Der Richter hat es angeordnet, und der hat das gemacht - der Psychofritze. Fragen gestellt, anstatt zu antworten.«
»Roy hat nichts getan. Wir wollen nur über eine frühere Freundin mit ihm sprechen.«
»Die, die ermordet wurde? Flora?«
»Sie wissen über sie Bescheid?«
»Nur das, was Roy mir gesagt hat.« Sie schlug die Hand vor den Mund. »Sie wollen doch nicht sagen …«
»Nein, Ma’am. Wir sprechen mit jedem, der sie kannte.«
»Ich habe ein vierjähriges Kind«, erwiderte Lisa Nichols. »Sie müssen mir die Wahrheit sagen.«
»Haben Sie Angst vor Roy?«, fragte ich.
»Ich habe Angst vor seinen Stimmungsschwankungen. Er hat mir nie was getan. Aber die Art und Weise, wie er sich verändert - wie er in sich hineinkriecht.«
»Was hat er Ihnen über Flora Newsome erzählt?«, fragte Milo.
»Dass sie …« Sie zog die Oberlippe zwischen die Zähne. »Das wird sich ziemlich blöd anhören …«
»Was denn, Ma’am?«
»Er sagte, sie wäre kalt. In sexueller Hinsicht. Nicht gut im Bett. Er sagte, sie hätte wahrscheinlich einen Typ heiß gemacht und dann ihren Worten keine Taten folgen lassen wollen, und das wäre dann eben mit ihr passiert.«
»Das war also seine Theorie?«
»Roy sieht alles unter dem sexuellen Aspekt. Wenn es nach ihm ginge …« Sie warf den Kopf herum. »Ich muss mit dem Packen weitermachen. Lori wird bald wach werden, und dann komme ich zu nichts mehr.«
Sie gab uns die Adresse und die Telefonnummer von Roy Nichols’ Eltern. Milo rief dort an, sprach mit der Mutter, log ihr vor, er sei ein Bauunternehmer, der nach Zimmerleuten suche, und erhielt den genauen Standort von Nichols’ derzeitiger Baustelle.
Als wir auf dem Sepulveda nach Süden Richtung Inglewood fuhren, sagte er: »Meine Vermutung ist, dass Flora nicht oft genug mit Nichols ins Bett gegangen ist, und deshalb hat er ihr den Laufpass gegeben. Daher auch seine Theorie. Oder er hat - wie nennt ihr das noch mal, wenn man von seiner eigenen Scheiße auf andere schließt …«
»Projiziert«, sagte ich. »Dass es in Floras Wohnung kein Zeichen für ein gewaltsames Eindringen gab, spricht dafür, dass es jemand war, den sie kannte. Der Overkill passt zu einer Menge Wut, die sich angestaut hatte, und die sexuelle Position weist auf den Ursprung der Wut hin.«
»Ein Stab aus einem schmiedeeisernen Zaun. Es muss einer von denen sein, die auf Baustellen herumliegen. Ich will auf jeden Fall wissen, wo dieser Mistkerl an dem Abend war, als Gavin und die Blondine ermordet wurden. Apropos Blondine, ich habe zwei Detectives zu den Nobelhotels geschickt, und dann haben sie mit den Kollegen aus Beverly Hills gesprochen, und niemand kennt unser Jimmy-Choo-Mädchen. Die Leute von den Hotels lügen wahrscheinlich, aber die B.H. Cops haben eine Akte der teuren Callgirls angelegt, und sie steht nicht darin. Es ist nur eine Frage der Zeit. Irgendjemand wird sie bald vermissen.«
13
Roy Nichols’ Baustellenleiter war ein kräftiger Mann mittleren Alters namens Art Rodriguez mit einem Bart, der langsam grau wurde, und der Gelassenheit eines Buddhas aus Stein. Ein DODGER-BLUE-Aufkleber prangte auf seinem Schutzhelm über dem Abziehbild des Sternenbanners. Er trug ein übergroßes Disneyland-T-Shirt unter einem Cambrai-Hemd, eine dreckige Jeans sowie staubbedeckte Arbeitsstiefel und hielt ein zusammengefaltetes Rennprogramm in der Hand.
Wir standen innerhalb des Maschendrahtzauns, der die Baustelle umgab, in der Sonne. Es ging darum, ein hässliches zweistöckiges Bürogebäude mit einer Ziegelfassade um einen seitlichen Anbau zu erweitern. Das ursprüngliche Haus war entkernt worden und hatte keine Fenster mehr, aber über dem Loch, wo die Eingangstür gewesen war, hing ein Schild - GOLDEN AGE INVESTMENTS.
Von dem Anbau wurde gerade der Rahmen errichtet, und Roy Nichols war einer der Rahmenbauer. Rodriguez zeigte ihn uns - er hockte im ersten Stock und schwang eine Nagelpistole. Die Luft roch nach unbehandeltem Holz, Pestiziden und Schwefel.
»Wollen Sie, dass ich ihn hole?«, fragte Art Rodriguez. »Oder wollen Sie Schutzhelme aufsetzen und selbst dort hochgehen?«
»Holen Sie ihn bitte her«, sagte Milo. »Sind Sie nicht überrascht, dass wir mit ihm reden
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